Der Fluch der zweiten Amtszeit
Zweite Amtszeiten verlaufen für amerikanische Präsidenten immer anders als geplant. Unabhängig von den hochfliegenden Reden, feierlichen Versprechen und bedeutungsschwangeren Prognosen, die am Tag der Amtseinführung die Medien füllen.
Das wird auch in den kommenden vier Jahren bei Barack Obama nicht anders sein.
Sicher gibt es Anhaltspunkte, die den Erwartungshorizont klarer abstecken. Schließlich haben die Amerikaner und die Welt schon vier Jahre erlebt, wie der erste schwarze Präsident im Weißen Haus regiert. Obama erwies sich als umsichtiger, abwägender, geduldiger, entschlossener und mutiger Führer. Einigen kam er zu vorsichtig, kompromissbereit und zaudernd daher. Andere halten ihn für zu verkopft, unpersönlich und ideologisch. Unterschätzen tut den zwei Mal mit über 50 Prozent der Stimmen gewählten Präsidenten dagegen niemand mehr.
Egal, was seine zweite Amtszeit bringt, hat er heute schon seinen Eintrag im Geschichtsbuch sicher. Innenpolitisch mit der Einführung der allgemeinen Krankenversicherung. Ein Projekt, an dem fünf seiner Vorgänger gescheitert waren; außenpolitisch mit dem Schlag gegen den Terrorfürsten Osama bin Laden und dem Ende des Kriegs im Irak. Wirtschaftspolitisch machte er sich verdient mit der Reform der Wallstreet und dem Vermeiden einer großen Depression.
Unerledigt blieben die nachhaltige Erholung des Arbeitsmarkts, die dringend nötige Reform der Einwanderung, eine klimaverträglichere Energiepolitik und ein Abtrag des enormen Schuldenbergs. Er muss einen nuklearen Iran verhindern, mit einem weit nach rechts gerückten Israel klarkommen, das Verhältnis zu China gestalten und den Krieg in Afghanistan zu Ende bringen.
Vor allem aber hat Obama bisher kein Rezept gefunden, die Selbstblockade in Washington zu überwinden. Während des Kräftemessens Ende des Jahres über die Fiskalklippe, aber auch nach der Tragödie von Newtown demonstrierte der wiedergewählte Amtsinhaber Bereitschaft, den verbohrten Radikalismus der Republikaner herauszufordern. Das lässt in Washington einen neuen Ton Obamas erwarten. Statt Kompromissen hinterherzujagen, die ihm die rechtspopulistische Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht geben will, dürfte der Präsident nun darauf setzen, das politische Umfeld zu verändern. Es ist zu erwarten, dass er dafür die Kanzel seines Amtes sehr viel intensiver nutzt als in den ersten vier Jahren. Obama braucht sich dabei nicht mehr um seine Wiederwahl zu sorgen. Das befreit.
Andererseits verbleibt ihm nicht viel Zeit, seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Spätestens nach den Kongresswahlen in zwei Jahren wird er wie alle seiner Vorgänger eine „lahme Ente“ sein. Daher muss er Prioritäten setzen.
Thomas Spang ist OÖN-Korrespondent in Washington