Videoüberwachung, ein Placebo

Von Martina Mara   10.Jänner 2017

Er will die rund eine Million privater Überwachungskameras, die (wahrscheinlich selbst nicht immer ganz legal) etwa in Geschäften oder an Tankstellen platziert sind, vernetzen, um den öffentlichen Raum so lückenlos wie möglich am Schirm abzubilden.

Teil dieser Strategie könnten auch Oberösterreichs neue Überwachungsanlagen werden, darunter die geplanten Videokameras in Wels und Steyr oder auch jene, die in 29 Linzer Straßenbahnen aktiviert werden. Ganz abgesehen von ihrer Sicherheitsverheißung sind solche Kameras aus psychologischer Perspektive durchaus interessante Objekte. Zumindest in Laborexperimenten beeinflussen gut erkennbare Überwachungslinsen tatsächlich, wie Menschen aufeinander reagieren und handeln. So fördert der – scheinbare oder reale – Beobachter im Off Verhaltensweisen, die der sozialen Norm entsprechen und führt im Mittel sogar zu mehr Zivilcourage. Besonders Personen mit hohem Anerkennungsbedürfnis helfen anderen nachweislich eher, wenn eine Kamera im Raum ist.

Sofern die neuen schwarzen Halbkugeln in den Linzer Bims überhaupt als Kameras decodiert werden, könnten sie künftig also dazu beitragen, dass älteren Passagieren öfters Sitzplätze angeboten werden oder dass weniger in den Nasen gebohrt wird. Vielleicht schrecken sie sogar vor dem einen oder anderen Taschendiebstahl ab oder tragen zumindest im Nachhinein zur Aufklärung bei. Dass eine Videokamera verhindern kann, wovor die meisten in Wahrheit Angst haben, ist allerdings ganz und gar unwahrscheinlich. Wenn ein Terrorist, ein kranker Mensch, bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen, wenn er bereit ist, größtmöglichen Schaden zur Herbeiführung größtmöglicher medialer Aufmerksamkeit anzurichten, sind ihm Überwachungskameras nicht nur egal, sondern im schlimmsten Fall sogar willkommene Bühnenheber.

Kameras können daher nie viel mehr als Placebos sein. Wir schlucken sie und fühlen uns besser und subjektiv sicherer, weil wir etwas unternommen haben. Wir sind in der Straßenbahn vielleicht sogar ein bisschen höflicher zueinander und sitzen artiger in den Sitzen – den bitteren Beigeschmack, den die Pille aber natürlich hat, ignorieren wir derweil.

Wir akzeptieren, dass Anonymität und Privatsphäre langsam auch im analogen Raum Stück für Stück wegbrechen, weil uns nichts Besseres einfällt. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass Kameras höchstens Symptome aufzeichnen, nie aber Ursachen für Gewalt und Terror bekämpfen können. Dazu wären Sozialarbeit und Bildung besser geeignet.

 

Martina Mara ist Medienpsychologin und forscht am Ars Electronica Futurelab zur Mensch-Roboter-Beziehung.