Ist Geiz wirklich geil?

Von Efgani Dönmez   18.Juni 2016

Sie treten unterschiedlich in Erscheinung. Während die einen im Überfluss leben, haben die Massen zu wenig zum Überleben und zu viel zum Sterben. Ein Faktum unter vielen Fluchtgründen!

Eines der zehn Gebote besagt im übertragenen Sinn, man solle nicht nach dem Haus seines Nächsten verlangen. Die Politik diskutiert gegenwärtig, die sehr gering finanzierte Entwicklungshilfe anzuheben, um den Menschen in ihren Heimatländern effizienter und günstiger zu helfen. Das stimmt und ist richtig so. Damit kann man das Gewissen beruhigen und politische Kosmetik betreiben, aber an der Grundproblematik ändert dies kaum etwas. Warum traut sich kaum eine Institution, fast kein Politiker die korrupten Staats- und Regierungschefs, welche ihre Länder, ihre Menschen ausbeuten und in die Armut treiben, ins Visier zu nehmen? Was ist effektiver, um Sicherheit und Stabilität sowie den Kampf gegen Armut voranzutreiben: ein paar Millionen Euro an Entwicklungshilfe oder die hunderten Milliarden Euro der regierenden Ausbeuter auf den Bankkonten in Europa einzufrieren und in geordneten Programmen dem jeweiligen Land und der Bevölkerung zurückzuführen?

Wenn wir nicht erkennen, dass die entfesselte Gier die Lebensgrundlage vieler Menschen gerade in den ärmsten Ländern der Welt systematisch ökonomisch zerstört, brauchen wir uns nicht wundern, wenn sich noch mehr Menschen auf die Flucht begeben. Gier und Geiz entstehen aus der inneren Leere. Die Gier soll die innere Leere füllen, mit Geld, mit materiellen Gütern, mit Besitz schlechthin – mit Dingen, welche über ein gutes Leben hinausgehen. In den arabischen, afrikanischen, amerikanischen und europäischen Ländern grassiert diese Pandemie. Am meisten davon befallen sind Scheichs, Oligarchen, Befürworter des Neokapitalismus sowie der türkische Despot vom Bosporus.

Mit einer inneren Leere zu leben ist unmöglich, deswegen schütten sich Millionen von Menschen mit Müll – auch Luxusgüter genannt – zu. Davon lebt auch die Wirtschaft, aber eines ist Gewissheit. Wir alle werden so von dieser Erde gehen, wie wir gekommen sind. In einem Sarg ist nicht viel Platz, in einer Urne noch weniger. Was dauerhaft bleiben wird, sind die Begegnungen, sind die Menschen, welche wir glücklich gemacht haben, sind die Erinnerungen, welche wir zurücklassen werden.

Um sich von der Gier zu befreien, reicht es aus, sie zu verstehen, damit Platz für wichtigere Dinge im Leben geschaffen wird. Der Sufi Haci Bektas Veli (1242-1337) umschrieb es mit den Worten: "Was immer du suchst, findest du in dir selbst, nicht in Jerusalem, nicht in Mekka." Vom Haben zum Sein – dieser Weg wäre auch messbar und ein Auftrag für die Politik.

Efgani Dönmez ist ehemaliger Bundesrat der Grünen.