"Sagen, was Sache ist"
Karin Bergmann, Direktorin Wiener Burgtheater
62.Wenn sich nur niemand fürchtete zu sagen, was die Sache ist, so würden alle Sachen besser gehen“, sprach der Dichter Johann Gottfried Seume und wanderte quer durch Europa. Das Ergebnis dieser Reise zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist „Spaziergang nach Syrakus“, ein faszinierendes Logbuch der sozialen und politischen Realitäten, mit denen Seume auf seinem Fußmarsch konfrontiert wurde. Er traf erstaunlich präzise Analysen und benannte genau, was richtig war an den Verhältnissen und was falsch. Seumes Mut, sein Ethos, die Dinge stets beim Namen zu nennen, ist beispielhaft.
Wir brauchen Politikerinnen und Politiker, die für ihre Prinzipien einstehen, auch auf die Gefahr hin, kurzfristig unpopulär zu sein. Die sagen, was Sache ist. Die über eine Wahlperiode hinaus für die Menschen und damit das Land denken und die nicht, nur die Quote im Blick, eigene Positionen verraten. Die sich, wie Seume, die Dinge anschauen und mit den Menschen reden, bevor sie in Aktionismus ausbrechen. Das mag utopisch und naiv klingen, aber Seumes abenteuerliche Reise nach Syrakus war ja, dem Titel des Buches zum Trotz, auch kein „Spaziergang“. Und das genaue Gegenteil von Stillstand.