Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Unser undurchschaubares Leben

Von Christian Schacherreiter, 09. Mai 2012, 00:04 Uhr
Unser undurchschaubares Leben
Péter Nádas will die Welt als Chaos erfahrbar machen. Bild: OÖN

Wie viel Welt passt in einen Roman? Dieser Frage stellte sich der ungarische Schriftsteller Péter Nádas, als er an seinem 1985 erschienenen, 1300 Seiten umfassenden Werk „Buch der Erinnerung“ arbeitete.

Zur Gänze beantworten konnte er die Frage damals wohl nicht, denn ab 1987 unternahm er einen zweiten Versuch. Achtzehn Jahre schrieb er an „Parallelgeschichten“, der Roman liegt jetzt in deutscher Übersetzung auf 1724 Seiten vor. Die Leistung der Übersetzerin Christina Viragh kann man gar nicht genug loben.

Es ist aussichtslos, die Romanhandlung in Kürze zusammenzufassen, denn sie ist nicht nur zu umfangreich, sie ist auch dermaßen zersplittert, dass Zusammenhänge nicht in wenigen Sätzen herzustellen sind. Lediglich Hauptmotive und Hauptstränge kann man andeuten. Zu Beginn erweckt Péter Nádas beim Leser den trügerischen Eindruck, er habe es mit einem Kriminalroman zu tun. Ein junger Jogger findet im Winter 1990 im Berliner Tiergarten eine Leiche. Der Finder verhält sich merkwürdig. Ist er der Täter? Nehmen wir es vorweg, der Kriminalfall bleibt ungeklärt.

Schauplatzwechsel, Zeitenwechsel: Budapest im Jahr 1961. In der Familie Lehr wartet man auf den Tod des alten Professors Lehr, eines üblen Knaben, der zunächst bei den faschistischen Pfeilkreuzlern aktiv war, aber später eine Allianz mit den Kommunisten einging. Die Familiengeschichte seiner Frau Erna stößt die Tür auf zu den schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts: zu den Konzentrationslagern, zu den Menschenversuchen der „Rassehygieniker“. Erneuter Schauplatzwechsel: Die „rote Gräfin“ Mária Szàpary empfängt drei ehemalige Schulfreundinnen zum Bridge und kümmert sich um ihre Geliebte, die seit einem Gehirnschlag umnachtet im Rollstuhl sitzt. Die „rote Gräfin“ stellt die Verbindung zu einer weiteren Figur her: Dr. Irma Szemzö, Jüdin, Psychoanalytikerin, KZ-Überlebende, Verliererin in jedem System. Über sie lernen wir den Architekten Alajos Madzar kennen – und so weiter…

Péter Nádas geht es darum, die Welt als Chaos erfahrbar zu machen. Jede Romanfigur nimmt nur wahr, was in ihrem Umfeld erkennbar wird, und interpretiert das eigene Leben aus diesem Zusammenhang; sie blendet aus, dass jedes Leben in ein Netzwerk der Abhängigkeiten verstrickt ist, das im Verborgenen wirkt. Das Chaos der Geschichte schreibt sich in die Körper ein. Geburt – Körper – Tod ist eine dominante Motivkonstellation in „Parallelgeschichten“. Die menschliche Welterfahrung erfolgt über die Sinne – von sexueller Lust bis zum Erleiden von Gewalt.

Dem Leser ist anzuraten, einen etwas längeren Urlaub anzutreten und sich täglich in mehrstündiger Lektüre in diese „Parallelgeschichten“ zu vertiefen. Bei häppchenweiser Lektüre kommt der rote Faden, den es in dieser Form ohnedies nur bruchstückhaft gibt, völlig abhanden. Damit scheint eines geklärt zu sein: Mehr Welt verträgt die Romanform nicht mehr. Péter Nádas hat jetzt schon die Grenze etwas überschritten.

 

Das Buch: Péter Nádas: „“Parallelgeschichten“. Roman. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh. Rowohlt, 1724 Seiten, 39,95 Euro.

 

Peter Nadas "Parallelgeschichten"
Bild: rowohlt Verlag

OÖN-Bewertung: Fünf von sechs Sternen

mehr aus Literatur

10 ausgezeichnete Bücher, die Kinder und Jugendliche jetzt lesen sollten

Buchtipp: Zwei Leben und ihre Überschneidungen

Weitwandern liegt voll im Trend: Dieses Buch hilft bei Vorbereitungen

Die Heimreise durchs sowjetische Absurdistan

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen