Als „Faust“ dem Wesen der Macht auf der Spur
Der russische Meisterregisseur Alexander Sokurow zog aus, um für seine filmische „Faust“-Interpretation den idealen Darsteller zu suchen – und wurde in Österreich fündig. Der Steirer Johannes Zeiler fand in „Faust“ seine bisher wohl größte und interessanteste Aufgabe. Ab Freitag in unseren Kinos.
Zeiler (41) studierte in Graz Germanistik und Geschichte, kam während dieser Zeit mit dem Team vom Theater im Bahnhof in Berührung: „Anfang der neunziger Jahre machten die ein Projekt mit Studenten. Ich war dabei und empfand so viel Spaß und Lust, dass ich es ernsthaft probieren wollte. Die Aufnahmsprüfung am Wiener Reinhardt-Seminar, wo ich in der Folge Lehrer wie Samy Molcho und Karlheinz Hackl hatte, schaffte ich gleich beim ersten Mal.“
Im Wiener Schauspielhaus verkörperte er jüngst Bruno Kreisky, und seine interessanteste TV-Arbeit war „Der erste Tag“ von Andreas Prochaska. In Peter Steins „Faust“-Produktion war er seinerzeit die Stimme des Herrn, daneben verkörperte er etwa den Seismos, der für die tektonischen Kräfte steht, und den Wanderer, der „Faust 2“ eröffnet: „Ein Synonym für Zeus, den Gottvater, und für Goethe selbst.“ Bereits damals ein schicksalhafter Fingerzeig zur Rolle in Sokurows mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Film? Jedenfalls glaubt Zeiler an Schicksalhaftes: „Nachher weiß man zwar alles besser, aber ich bin der Überzeugung, dass Sokurow zum genau richtigen Zeitpunkt auf mich zukam. Warum er unter so vielen Kandidaten gerade mich auswählte, weiß ich nicht. Über Ecken habe ich erfahren, dass ihm meine Fähigkeiten zu herzhaftem Humor und gleichermaßen Tiefe und Substanz imponierten.“
Ein sehr menschlicher Faust
Zum Vorspielen erhielt der Steirer einen Teil des Drehbuches: „Und zwar jene Szene, in der Faust versucht, einen Ring zu verkaufen. Aus dieser Szene bin ich anfangs nicht richtig schlau geworden. Ich ahnte nur, dass ich einen sehr menschlichen Faust spielen sollte, der in materiellen und psychischen Nöten war. Das Wissenschaftliche und Philosophische sollte mehr im Hintergrund stehen. Da war Goethes Vorlage nicht unbedingt das Vorbild, Sokurow bewegte sich eher in Richtung Thomas Mann.“
Sokurow beherrscht die deutsche Sprache nicht, aber: „Er hat trotzdem ein erstaunliches Verständnis für unsere Sprache. Er wusste zum Beispiel, dass im Deutschen die Konsonanten sehr wichtig sind. Und er geht manchmal sehr intuitiv vor.“ Mephisto (dargestellt vom Russen Anton Adassinsky) wird im Film nie so genannt, sondern nur als „der Wucherer“ bezeichnet: „Eigentlich heißt er laut Buch Marius Müller. Er ist ein Wesen, das manchmal vielleicht wenig Sinn macht, weil es so dazwischen schwebt. Zwischen menschlicher und geistiger Natur. Er könnte im nächsten Augenblick ganz anders aussehen.“
Die Finalszenen wurden auf einem Gletscher in Island gedreht, und das Publikum erlebt in Faust und dem Teufel eigentlich zwei arme Teufel. Oder? „Man sollte diese Augenblicke“, sagt Zeiler, „jedenfalls nicht so sehr mit dem Kopf, sondern eher mit dem Herzen betrachten. Man sollte sich überraschen lassen.“
Auf die Frage, was der Regisseur aus Russland mit diesem „Faust“ gewollt haben mag, antwortet der Österreicher: „Als der, der Faust verkörpert hat, stecke ich noch heute zu stark drinnen. Ich tu mir schwer, zu beantworten, was Sokurow wirklich gewollt hat. Andererseits: So komplex ist es auch wieder nicht. Der Film steht als Gipfelpunkt in seiner Tetralogie, in der er schon Hitler, Lenin und Kaiser Hirohito abgehandelt hat. Es geht immer um das Verhältnis Mann und Macht. Sokurow hat sehr wohl versucht, die historische Figur Faust einmal in einen anderen Kontext, seiner Meinung nach in den echten, zu setzen.“