Literaturnobelpreis für unbekannten „Meister der Langsamkeit“
Wieder nicht Philip Roth, wieder nicht Bob Dylan, wieder nicht Haruki Murakami. Der Nobelpreis für Literatur 2011 geht überraschend an den schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer. Der 80-Jährige ist seit einem Schlaganfall 1990 gehbehindert und kann kaum noch sprechen.
Tranströmer ist seit 1901 der achte Schwede, dem der wichtigste Literaturpreis der Welt zuerkannt wurde. Keinem der jemals Ausgezeichneten genügte ein derart schlankes Werk. Tranströmers insgesamt veröffentlichte und in mehr als 50 Sprachen übersetzte Poesie passt in einen Band von nicht einmal 300 Seiten. Der Preis ist umgerechnet mit 1,1 Millionen Euro dotiert.
„Ich bin überglücklich und ich hoffe, dass diese Ehre eine Aufmunterung für ihn ist, mit diesem Leben irgendwie weiterzukommen“, sagt Michael Krüger, Schriftsteller und Chef des Carl-Hanser-Verlages, im Gespräch mit den OÖNachrichten. Krüger und Tranströmer sind seit 1969 gut befreundet. „Wir haben uns in diesem Jahr erstmals getroffen, das war beim literarischen Kolloquium in Berlin, er hat damals seine ersten Übersetzungen gelesen. Seit 1989 verlegen wir alles von ihm.“
Zur Zeit dieser ersten Begegnung arbeitete Tranströmer noch als Psychologe mit jugendlichen Kriminellen, und es sei kaum vorstellbar, welch feiner, überaus zurückhaltender Mann sich damals bei Krüger vorgestellt habe. „Auch deshalb bin ich so glücklich, weil der Nobelpreis damit einen Meister der Langsamkeit würdigt“, sagt Krüger.
Erstaunlich war, wie sich Tranströmer von seinem Schlaganfall erholte, obwohl es äußerst kritisch um ihn gestanden war. Er reiste sogar, vor zwei Jahren zum Lyrikertreffen nach Münster, in China besuchte er noch einmal eine Lesung aus seinen Werken. Und Klavier spielt er wieder, wenn auch nur mit der Linken, mit der er sich in den raren Momenten, in denen er sich aus dem Rollstuhl erhebt, auf einen Stock stützt.
In Schweden gilt Tranströmer als Neuerfinder der Metapher, er verknappt seine Bilder und öffnet sie für die Geheimnisse des Alltags. Demnach sei etwa „Schweden ein an Land gezogenes, abgetakeltes Schiff“ oder die Zeitung ein „großer, schmutziger Schmetterling“. So nah er seine Poesie an die Realität auch heranrückt, bleibt sie dennoch in ihrer eigenen Welt.
Im Laufe seines Schaffens wurde seine Lyrik obendrein stets reduzierter. Sein jüngster Gedichtband, der 2004 auf Schwedisch erschien, enthält ausschließlich Haikus (traditionelle japanische Gedichtform, 10 bis 14 Silben). Ihm war es stets wichtig, in einer Welt voll Krieg und Gewalt den Überblick nicht zu verlieren. Das Entscheidende für ihn sei allerdings nicht eine Ideologie, sondern „die Vision“, sagte er in einem Interview 1986. Er selbst wurde zum Namensgeber des Tranströmerpreises, der an skandinavische Lyriker verliehen wird.
Der Radiosender Ö1 ändert nun sein Programm und wiederholt am 10. Oktober um 21 Uhr die Sendung „Die Erinnerungen sehen mich – ein Besuch beim schwedischen Dichter Tomas Tranströmer“.
„Heimwärts“ von Tomas Tranströmer
Ein Telephongespräch lief in die Nacht aus und glitzerte
im Land und in den Vorstädten.
Danach schlief ich unruhig im Hotelbett.
Ich ähnelte der Nadel eines Kompasses, den der
Orientierungsläufer mit pochendem Herzen durch den
Wald trägt.
Übersetzung: Hanns Grössel, aus „Tomas Tranströmer: Gedichte. Ausgewählt
von Raoul Schrott, Siegfried Völlger, Michael Krüger“, Hanser 2000, 48 Seiten
Literatur-Nobelpreisträger seit 2000
2011 Tomas Tranströmer Schweden 2010 Mario Vargas Llosa Peru 2009 Herta Müller Deutschland 2008 JMG Le Clézio Frankreich 2007 Doris Lessing England 2006 Orhan Pamuk Türkei 2005 Harold Pinter England 2004 Elfriede Jelinek Österreich 2003 John M. Coetzee Südafrika 2002 Imre Kertesz Ungarn 2001 V. S. Naipaul England/Trinidad 2000 Gao Xingjian China/Frankreich Der Nobelpreis für Literatur wird seit 1901 – mit wenigen Ausnahmen – jährlich vergeben. Nach dem testamentarischen Willen des schwedischen Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) erhält derjenige den Preis, „der in der Literatur das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung hervorgebracht hat“.
Was ist denn das für ein laaaaaanger Schlusssatz-Einzeiler.