Anna Mitgutsch im Interview: Abschied vom Lebensmenschen
„Wenn du wiederkommst“, der neue Roman von Anna Mitgutsch, ist eine Totenklage. Die Hauptfigur erfährt, dass der Mann, den sie seit mehr als 30 Jahren liebt, gestorben ist. Die OÖN sprachen mit der oberösterreichischen Autorin Anna Mitgutsch über Liebe, Abschied und Trauer.
OÖN: Der tiefe Schmerz Ihrer Hauptfigur erinnert mich an Elias Canetti, der den Tod verflucht hat. Ist das ein für Sie nachvollziehbarer Fluch?
Mitgutsch: Ja, Canetti schrieb immer wieder gegen den Tod an, allerdings hat er selbst denjenigen, die er nicht so schätzte, kein Überleben gegönnt. Die kommen in seinem Werk einfach nicht vor. Canetti wollte zwar mit dem Judentum nicht besonders viel zu tun haben, aber die große Bedeutung der Erinnerung ist doch eine jüdische Haltung. Die größte Verwünschung für den Feind ist: Möge sein Name ausgelöscht werden.
OÖN: Jerome, der Verstorbene, ist Jude. Die jüdische Religion ist in Ihrem Roman sehr präsent, vor allem in Form von Trauerritualen.
Mitgutsch: Schon rein formal ist das Buch aufgebaut nach dem jüdischen Trauerritual. Trauerwoche, Trauermonat, Trauerjahr. In der Trauerwoche wird dem Trauernden zugestanden, dass er nichts tut, damit er sich auf die Trauer konzentrieren kann. Aber in einer säkularisierten Gesellschaft erregt das Anstoß. Da müssen die Trauernden den Gästen Essen servieren und werden ermahnt, dass das Leben weitergehe. In der dreißigtägigen Trauerzeit der Juden lassen sich unter anderem die Männer einen Bart wachsen, die Spiegel werden verhängt, jeden Tag wird Kaddisch gesagt.
OÖN: Hoffnung auf ein Leben im Jenseits gibt aber die Religion in Ihrem Roman nicht.
Mitgutsch: Ich hab ja keinen Ratgeber geschrieben.
OÖN: Aber im Judentum gibt es einen Auferstehungsglauben.
Mitgutsch: Wenn der Messias kommt, werden die Toten auferstehen. Aber was dann sein könnte im Jenseits, schmückt das Judentum nicht so aus wie das Christentum.
OÖN: Tot ist vorerst einmal tot. Auch in Ihrem Buch.
Mitgutsch: Naja, ganz so ist das nicht. Die Frau und die Tochter wollen ja den Verstorbenen mit allen Mitteln ins Leben zurückholen. Sie kreisen in ihren Gesprächen um den Augenblick seines Todes. Er bleibt ein „Du“, wird nicht zum „Er“. Und alles, was passiert und irrational gedeutet werden könnte, deuten Mutter und Tochter als seine Gegenwart. Das entspricht dem jüdischen Volksglauben, der besagt, dass in der Trauerwoche die Seele des Toten noch anwesend ist und um ihren Körper trauert. Das ganze Buch ist ja eine Totenbeschwörung. Ich wollte es Totenklage nennen.
OÖN: Das Trauerjahr wird für die Erzählerin auch ein Jahr der Reflexion: Wer war der Verstorbene für mich, was war ich für ihn?
Mitgutsch: Da gibt es einige Phasen. Zuerst will sie den Tod nicht wahrhaben, dann kommt die Phase, in der sie nur positive Erinnerungen zulassen kann, später kann sie auch die negativen zulassen, aber mir ist wichtig, dass bis zum Schluss die Balance zwischen positiv und negativ gehalten wird. Am Ende hat sie die Gewissheit: Das war meine große Lebens- und Liebesbeziehung.
OÖN: Allerdings eine ziemlich komplizierte Beziehung.
Mitgutsch: Ja, da gibt es auf der einen Seite diese tiefe Seelenverbundenheit und Nähe, gleichzeitig aber auch die Unsicherheit, weil ja jeder der beiden sein Leben führt. Wesentlich für eine Beziehung ist, ob man diese tiefe Verbundenheit entdeckt oder ob die Fremdheit überwiegt. Wenn die Verbundenheit da ist, kann sie anderes tragen helfen, was die beiden kränkt und einander entfremdet.
OÖN: Ich weiß, dass Sie Fragen nach autobiografischen Zusammenhängen nicht sehr schätzen, aber die Intensität dieses Romans ist nur durch selbst Erlebtes erklärbar.
Mitgutsch: Ja, bei diesem Thema muss die persönliche Erfahrung vorangegangen sein. Sonst könnte ich das nicht schreiben. Wenn der wichtigste Partner des erwachsenen Lebens stirbt, das ist eine solche Erschütterung – um das zu bewältigen, kommt man mit einem Trauerjahr nicht aus. Die Trauer um den Lebensmenschen ist eine unerträgliche Sehnsucht.
Info: Anna Mitgutsch liest aus ihrem Roman „Wenn du wiederkommst“ heute, um 19.30 Uhr im Linzer Stifterhaus. Die OÖN-Rezension zum Roman lesen Sie hier!