Welches Genie darf die Welt erleuchten?

Von Peter Grubmüller   21.März 2017

Graham Moore heckt seine Fiktion gerne auf dem Boden historischer Realität aus. Für sein Drehbuch von "The Imitation Game" – ein mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle besetzter Film über die Dechiffriermaschine Enigma – gewann er 2015 den Oscar. In seinem neuen Roman "Die letzten Tage der Nacht" lässt Moore die Erfinder Thomas Alva Edison, George Westinghouse und Nikola Tesla aufeinanderprallen. Es entspinnt sich eine Schlacht um Urheberrechte und wissenschaftliche Geltung, wobei es um die Frage geht, welche Idee Ende des 19. Jahrhunderts die USA mit Elektrizität versorgen und die Welt erleuchten darf.

Die Ausgangslage fußt auf einem Gerichtsurteil: Edison hatte sich die Glühbirne patentieren lassen, Westinghouse verbesserte das Produkt maßgeblich, aber die US-Regierung entschied, dass die bessere Glühbirne Edisons Patent verletzte. Also verlangt Edison eine Milliarde Dollar Schadenersatz. Der 26-jährige Anwalt Paul Cravath – unerfahren, aber hochbegabt – soll die Angelegenheit für Westinghouse regeln, aus seiner Perspektive wird die Geschichte erzählt. Edisons Gleichstrom-Theorie wirft das Problem auf, Elektrizität nur über kurze Strecken übertragen zu können. Die Wechselstrom-Entdeckung von Tesla, der für Westinghouse arbeitet, könnte die Distanzen vergrößern, aber der exzentrische und psychisch instabile Wissenschafter hat kein Interesse daran, sich in den Mühlen des Marktes zermalmen zu lassen. Um die Gefährlichkeit des Wechselstroms zu beweisen, lässt Edison grausame Versuche an Hunden durchführen, schließlich macht er seinen politischen Einfluss geltend und setzt die Einführung des Elektrischen Stuhls auf Wechselstrom-Basis durch. Die erste Hinrichtung auf dieser Mordmaschine gerät zur bestialischen Folter. Auf einer Parallelachse begegnet Cravath der Sängerin Agnes Huntington, einer verführerischen Schönheit mit nicht ganz tadelloser Vergangenheit. Entlang dieser Beziehung balanciert Moore auf dem schmalen Grat zwischen Liebe und Verrat.

Moores Charaktere sind famos gezeichnet, seine Erzählkunst bringt den Leser um den Schlaf. Es geht dem 35-jährigen Autor nicht bloß um den epischen Wettkampf, vielmehr um die Natur von Genies und wie Investoren vom Zuschnitt des Bankiers J. P. Morgan Wissenschafter tanzen lassen. Der Text ist ein Kinoereignis zwischen zwei Buchdeckeln.

Graham Moore: "Die letzten Tage der Nacht", Roman, Eichborn, 464 Seiten, 22,70 Euro.

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