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Was von Gott noch übrig ist

Von Christian Schacherreiter, 01. Oktober 2016, 00:04 Uhr

Beim 20. Philosophicum Lech suchte man nach religiösen Spurenelementen in einer angeblich gottlosen Welt. Und man fand sie: magische Orte, Wissenschaftsgläubigkeit, Gotteskriegertum und Mythen aller Art.

Reden über Gott und die Welt, das heißt im üblichen Sprachgebrauch: Reden über alles Mögliche und nichts Verbindliches. Und dafür gibt es ein philosophisches Symposion? Nein, dafür nicht, aber diese Bedeutung der Floskel ist nicht die einzig mögliche. In der Geschichte der europäischen Philosophie und Theologie gab es lange Zeit nichts Ernsteres als die Rede über Gott, den Schöpfer der Welt, und sein Verhalten zu dieser Welt. Und weil viel mehr Religion in unserer profanen Welt geblieben ist als uns bewusst ist, sind "Gott und die Welt" immer wieder der Rede wert.

Der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann, Spiritus Rector des Philosophicums seit dessen Premiere (1996), steckte in seinem Einführungsvortrag das weite Feld ab, auf das sich Referenten und Publikum diesmal begeben durften. Hier unsere erfahrbare irdische Welt mit ihren "neuen Kriegen" samt religiöser Begleitmusik (Herfried Münkler) und ihrer irrationalen Lust am Luxus (Lambrecht Wiesing), mit ihrer Mittelstandsangst vor Verarmung (Heinz Bude) und ihrer Vermutung, Geist sei nichts anderes als die Folge neuronaler Prozesse. Und dort? Ja, was ist eigentlich dort? Gott? Ist von dem überhaupt noch was geblieben in einer Zeit, in der unter Intellektuellen Atheismus und Naturalismus zu einer Art common sense geworden sind?

Dämonie der Finanzmärkte

Kann man über Gott noch sinnvoll reden in einer weitgehend säkularisierten Welt, die von Rationalität, Wissenschaft und Ökonomie beherrscht wird? So restlos aufgeklärt, wie wir meinen, sind wir nicht. So profan kann eine Gesellschaft gar nicht sein, dass alle "Spurenelemente des Religiösen" (Rüdiger Safranski) aus ihr verschwänden. Sakralbauten betrachten wir immer noch mit anderen Augen als Fabrikhallen und Flughäfen. Umberto Eco hat schon vor Jahrzehnten aufgezeigt, wie sehr die Zeichen der Religion in die vermeintlich weltliche Massen- und Popularkultur geraten sind. Superman hat überirdische Kräfte!

Christoph Türcke, Philosoph aus Leipzig, machte nicht nur plausibel, dass unser Umgang mit Geld in der archaischen Opfergabe an dämonisierte Naturkräfte seine mythisch-sakralen Wurzeln hat, er sprach auch mit treffender Ironie von den Finanzmärkten, die auf uns wie transzendentale Mächte wirken, die Segen oder Fluch über die Menschheit bringen. Medien stellen die bange Frage: Wie werden die Finanzmärkte reagieren? Und "Oberpriester" Draghi spricht im Tempel EZB die Schöpferworte: Es werde Geld!

Ein weiteres Indiz für die Erhaltung des Religiösen in profanen Gesellschaften ist der Umstand, dass es wohl nur sehr wenige Menschen gibt, denen gar nichts "heilig" ist, und sei es nur das von der frommen Großmutter gestickte Tischtuch. Holm Tetens, emeritierter Professor für Theoretische Philosophie an der FU Berlin, ging noch einen Schritt weiter. Dem herrschenden Naturalismus zum Trotz behauptet er, dass die Tatsache, dass der Mensch ein geistbegabtes Wesen ist, die These, dass der Mensch geistig-göttlichen Ursprungs sein könnte, nach wie vor rechtfertigt. Beweisbar sei nämlich auch das Gegenteil nicht. Und warum sollen wir die pessimistische Variante wählen, wenn es auch eine optimistische gibt?

Heiße und erkaltete Religiosität

Der Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski räumte zwar ein, dass in Europa spätestens seit der Aufklärung religiöse "Abkühlungsprozesse" unaufhaltsam voranschreiten, meint aber, dass der Glaube durch den "Willen zum Glauben" ersetzt werde. Allein deswegen, weil die Letztbegründung wichtiger humaner Werte ohne Transzendenz schwierig ist. Ist uns die "Menschenwürde" noch "heilig", wenn sie nicht dadurch begründet werden kann, dass jeder Mensch von Anfang an gottgewollt ist und deshalb eine besondere Würde hat? Auch Eigensinn, Wert und Autonomie der Kunst stehen auf dem Spiel, wenn der Geist, der sie hervorbringt, nur mehr determinierte Materie ist.

Ein philosophisches Symposium über Gott in der gegenwärtigen Welt kann die Konfrontation des religiös abgekühlten Europa mit der "heißen" Religiosität des Islams nicht ausblenden. Dass abgekühlte Religionen menschenfreundlicher sind als heiße, machte vor allem die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Necla Kelek deutlich. Wenn religiöse Leidenschaft nur dann zu haben ist, wenn Vernunft, Toleranz und Selbstrelativierung des Glaubens außer Kraft gesetzt werden, dann ist der Preis eindeutig zu hoch. Mehr als 200 Suren im Koran rechtfertigen explizit Gewalt, vor allem gegen "Ungläubige". Im Islam vermisst Necla Kelek eine aufgeklärte Theologie, die diese Suren einer historisch-kritischen Lesart unterzieht.

Dass der Islam grundsätzlich imstande ist, diese Reform zu leisten, behauptete Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Münster. Khorchide findet genügend Suren, die das Bild eines liebenden, barmherzigen Gottes nahelegen, der dem christlich-jesuanischen Gottesbild gar nicht so ferne liegt. Dass aber dieser Wandel des Islams zu einer "abgekühlten" Religion schwierig ist und noch lange dauern wird, räumte auch Khorchide ein.

Lesetipps:
Carlos Fraenkel:
"Mit Platon in Palästina. Vom Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Welt", Hanser, 256 Seiten, 20,50 Euro
Necla Kelek: "Chaos der Kulturen. Die Debatte um Islam und Integration", Kiepenheuer & Witsch, 246 Seiten, 10,30 Euro
Michael Köhlmeier/ Konrad Paul Liessmann: "Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam? Mythologisch-philosophische Verführungen", Hanser, 223 Seiten, 20,60 Euro
Mouhanad Khorchide: "Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion", Herder, 240 Seiten, 13,40 Euro
Peter Strasser: "Die Welt als Schöpfung betrachtet. Eine stille Subversion", Fink Verlag, 118 Seiten, 17,40 Euro
Holm Tetens: "Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie", Reclam, 95 Seiten, 5,20 Euro
Christoph Türcke: "Mehr! Philosophie des Geldes", C.H. Beck, 467 Seiten, 30,80 Euro

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5  Kommentare
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haspe1 (23.645 Kommentare)
am 03.10.2016 09:39

Für mich DAS entscheidende Argument, warum Gottesglauben in der heutigen Welt, die die Naturwissenschaft erklärt, so gut sie kann, nicht sachgemäss ist, ist ein sehr altes, aber gutes: "Ockhams Rasiermesser".

Und das ist ein gutes methodisches Prinzip, aber kein Forschungs-Resultat...

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haspe1 (23.645 Kommentare)
am 03.10.2016 09:38

Also die Beispiele der Referenten, die Schacherreiter hier anführt, warum Gottgläubigkeit einen Grund haben könnte, sie ziemlich banal und seicht. Ich hoffe, da wurde daneben doch etwas substanzielleres geboten.

Und der Begriff "Naturalismus" beschreibt die moderne, naturwissenschaftlich geprägte Welt auch nicht bzw. ist kein von Wissenschaftern benutzter Fachbegriff. Mir scheint, Chr. Schacherreiter ist zwar auf dem Gebiet der Literatur sehr bewandert, aber bei den Naturwissenschaften und deren Weltbild da ist sein Fachwissen doch sehr bescheiden. Dann kommt aber auch bei jenem Teil der Philosophie, der die Naturwissenschaften betrifft, nicht viel heraus...

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fritzicat (2.724 Kommentare)
am 01.10.2016 23:00

Beim 20. Philosophicum Lech suchte man nach religiösen Spurenelementen in einer angeblich gottlosen Welt ............
--------------

Die Vortragenden, Träger hoher Titel, sind allesamt Plauderer, die am Kern "Gott" vollkommen vorbeigehen.

Ich habe voriges Jahr einige dieser Kapazunder gefragt: "was ist, wenn sich irgendwann herausstellt, dass es "Gott" nach eurer Definition überhaupt nicht gibt, dass ihr lebenslang im Dunklen eure Thesen verbreitet habt ?

Blöcken gleich Schafen, aber selbst auf solche Fragen waren sie nicht vorbereitet, hatte keinerlei Antworten .......... man sagt gemeinhin Funktionaldeppen zu solchen Figuren.

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reibungslos (14.459 Kommentare)
am 02.10.2016 20:08

Da bisher alle Normungsversuche an Gott gescheitert sind, ist auch künftig nicht damit zu rechnen. Jeder darf sich selbst sein Gottesbild malen oder auch, falls man Gott für entbehrlich hält, darauf verzichten.

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jago (57.723 Kommentare)
am 01.10.2016 19:56

Viele Namen. Zum drauf Berufen wo sonst nichts ist als Würchter.

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