Moses im Salzburger Betonsilo
Bornierte Völker und engstirnig verkrampfte Menschen prallen aufeinander. „Moise et Pharaon“ heißt der Vierakter, den Gioachino Rossini aus diesem Stoff geschaffen hat. Am Samstag war Premiere der letzten großen Opern-Neuproduktion des Salzburger Festspielsommers 2009.
„Kein Abbild des Gazastreifens – das wäre einfach töricht und viel zu nah“, schreibt Regisseur Jürgen Flimm im Programmheft über seine Inszenierung, mit der er zwar den Stoff nicht wirklich aktualisierte, aber trotzdem in jedes nur erdenkliche Fettnäpfchen hineintrat und Rossinis nach Wilhelm Tell wohl bedeutendste „Grande Opéra“ zu einer Farce verkommen ließ. So sind Kleidung und Gebetshaltung eindeutig heutigen Juden und Moslems nachempfunden und der Konflikt findet so nicht zwischen Moses und Pharao, sondern zwischen einem, sagen wir einmal libyschen Revolutionsführer und einem sturen Glaubenskämpfer mit Kippa am Kopf statt.
Auch das sterile Einheitsbühnenbild (Ferdinand Wögerbauer) treibt alles Ägyptische aus und gleicht einem überdimensionalen Silo, in dem sowohl Juden als auch Ägypter ihre Plagen auszustehen haben. Grande Opéra bedeutet auch Spektakel – alleine schon wegen der starken Präsenz des Chores, die gerade bei Moise et Pharaon über das Normale weit hinausreicht. Hier sind Massen zu bewegen, Hunderte Mikrochoreografien zu entwerfen, damit eben nicht das passiert, was an diesem Abend vorherrschte – langatmige Statik. Fast lustloses Herumstehen, als ginge einen das Ganze nichts an – hie und da, wenn es im Orchestergraben richtig krachte, händeringende Gesten. Aber selbst die hätten bei passenden Kostümen monumental ausgesehen. Aber so gewandete Birgit Hutter auf der einen Seite orthodoxe Juden mit Tallit und Tefillin (Gebetsmantel und -riemen), auf der anderen kaftanbetuchte Orientalen – das soll nicht aktualisiert sein?
Selbst die schon in Rossinis erster (italienischer) Fassung eingeschobene Liebesbeziehung zwischen Anaïs, der Nichte Moses’, und dem Pharaonensohn Aménophis, die in ihrer schicksalhaften Unmöglichkeit den Hass der Ägypter auf die Hebräer auslöst, war belanglos und blass. Ja derart unglaubwürdig, dass Aménophis’ letzter Satz „Exterminons une coupable race!“ (Lasst uns die schuldige Rasse vernichten) kein bedrohlicher Aufruf zum Genozid wurde, sondern fast ironisch verhallte. Auch deshalb, weil drei Statisten im Hintergrund die ganze Oper über nichts Besseres zu tun hatten, als das fünfte Gebot – „Du sollst nicht töten“ – mit Farbe auf die Silowand zu malen. Man hat hier viel vergeben. Das hat das Publikum auch buhend zum Ausdruck gebracht. Die musikalischen Leistungen wurden bejubelt, weshalb ist fraglich.
Einheitssound
Riccardo Muti hat zweifelsohne die Partitur und ihre Lesart im kleinen Finger und weiß, wie diese Musik klingen kann. Allerdings fehlte die szenische Inspiration, das auch wirklich umzusetzen. Die technisch auch nicht immer sauberen Philharmoniker klangen zwar weich und warm timbriert, aber die interessanten Klangfarben, die Rossini hier erdacht hatte, gingen in einem orchestralen Einheitssound unter. Da ließen sich mehr pittoreske Schattierungen herausholen. Auch die Sänger wirkten wenig inspiriert. Keine Frage, das Ensemble war insgesamt sehr gut und würde jedem Haus zur Ehre gereichen, aber für das Festival aller Festivals war es doch nur Mittelklasse. Ildar Abdrazakov war ein beeindruckender Moïse, aber zu Beifallsstürmen riss er nicht hin. Nicht viel anders Nicola Alaimo, der als Pharao blass aussah und auch stimmlich an seine Grenzen stieß. Eric Cutler war ein ordentlicher Aménophis, der sein schönes Timbre einsetzte und damit über etwas eintönige Phrasierungen hinwegtäuschte. Wirklich aufhorchen ließ Marina Rebeka, die im vierten Akt die Anaïs zu einem beeindruckenden Charakter wachsen ließ und stimmlich begeisterte. Die weiteren Rollen waren gut besetzt, aber boten nicht das Niveau, das man erwarten muss. Dieses erfüllte umso mehr der von Thomas Lang perfekt studierte Staatsopernchor.