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Liessmann: "Kunst gibt dem Leben Sinn"

Von nachrichten.at/apa, 28. Juli 2016, 13:43 Uhr
Kulturphilosoph Konrad Paul Liessmann Bild: APA

SALZBURG. Die Salzburger Festspiele 2016 sind heute in der Felsenreitschule in der Stadt Salzburg offiziell von Nationalratspräsidentin Doris Bures eröffnet worden. Die Festrede mit dem Titel "Und mehr bedarfs nicht. Über Kunst in bewegten Zeit" hielt Konrad Paul Liessmann.

Die Festrede hielt der Kulturphilosoph Konrad Paul Liessmann, am Abend geht mit der Uraufführung "The Exterminating Angel" von Thomas Ades nach dem Bunuel-Film "Der Würgeengel" die erste Oper im Haus für Mozart über die Bühne.

Unter dem sinngemäßen Motto "Träume, die vielleicht zum Erwachen führen" bieten die Salzburger Festspiele bis 31. August 192 Aufführungen in 41 Tagen an 14 Spielstätten. Auf dem Opernprogramm stehen insgesamt drei Neuinszenierungen, im Schauspiel bringt der scheidende Intendant Sven-Eric Bechtolf mit "Endspiel" von Samuel Beckett, "Der Sturm" von William Shakespeare und "Der Ignorant und der Wahnsinnige" von Thomas Bernhard drei gewichtige Stücke auf die Bühne.

Die Premiere des "Jedermann" mit Cornelius Obonya - er kündigte bereits an, heuer die Rolle zum letzten Mal zu spielen - und der neuen Buhlschaft Miriam Fussenegger fand bereits am 23. Juli statt. Einen Tag zuvor startete das Festivalprogramm mit Joseph Haydns "Die Schöpfung" im Rahmen der Ouverture spirituelle.

Wie schon in den Jahren zuvor nahmen die Redner am Podium der Felsenreitschule bei der offiziellen Festspieleröffnung auch zu aktuellen Konflikten und Krisen Stellung. Bures, die in Ermangelung eines Bundespräsidenten die Eröffnung vornahm, zeigte sich erschüttert über den "mörderischen Terror, der zu einem Teil europäischer Lebensrealität" geworden sei. Gleichzeitig würden Entwicklungen des gesellschaftlichen Fortschritts stagnieren. Europa brauche in diesen herausfordernden Zeiten Gemeinsamkeit, Vertrauen, Träume und Ziele. Die Angst, "die unserer Zukunft Grenzen setzt", müsse überwunden werden, sagte die Nationalratspräsidentin.

"Kunst macht uns bewusst, dass wir keine willenlose Herde sind"

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) wies in seiner Rede auf seine Fragestellung "Wie sehr verwandelt Veränderung?" daraufhin, dass hinter der Idee der Europäischen Union das größte Friedensprojekt der Geschichte stehe, das die Würde des Einzelnen in den Mittelpunkt allen staatlichen und gesellschaftlichen Handels stellt. "Ich bezweifle, ob wir selbst wirklich davor gefeit sind, wieder in die Barbarei, die Grobschlächtigkeit, die Kulturlosigkeit zurück zu verfallen, wenn wir aus der Ruhe im Auge des Sturmes in seine zerstörerische Veränderungsgewalt rücken.....". Die Kunst mache das Bewusstsein und die Freiheit des menschlichen Willens gegenwärtig. Momente, die die Kunst schenkt, und auch die Liebe zwischen zwei Menschen oder die Hinwendung zum Glauben seien etwas Allgemeingültiges, das alles überdauert, erklärte Haslauer. "Die Kunst macht uns bewusst, dass wir nicht eine willenlose Herde sind, sondern in jedem von uns ein Stück weit Unendlichkeit gesetzt ist."

Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) meinte, dass Europa derzeit als Projekt der ökonomischen und intellektuellen Eliten wahrgenommen werde. "Das muss sich ändern, wenn das gemeinsame europäische Projekt auch weiter Bestand haben soll." Dazu sei auch ein "hervorragendes, menschliches" Bildungssystem erforderlich, das gegen destruktive antidemokratische Populisten immunisiere. Zweitens sei ein gesellschaftlicher Zusammenhalt notwendig. Ziel der Politik müsse es sein, ein Leben der Menschen in gegenseitigem Respekt, in Würde und Anstand zu ermöglichen. Der Staat sei auch für die freie Entwicklung und Finanzierung der Kunst und die Kunstvermittlung verantwortlich, und dafür wolle er als Minister kämpfen.

Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, die dem Mozarteum-Orchester zum 175-Jahre-Jubiläum gratulierte und bei der Begrüßung der Ehrengäste meinte, dass der anwesende Ex-Bundespräsident Heinz Fischer mit seiner Frau Margit immer noch "aus bekannten Gründen unser starkes First couple" sei, stellte die Frage in dem Raum: "Würden wir nicht gerne - wenn nicht unsere Seelenfenster - zumindest unsere Ohren und Augen verschließen vor dem Grauen in Fern und Nah?" Als eine Antwort darauf verwies sie auf Richard Strauss, dem Kritiker "Weltflucht" vorwarfen, als er mitten im Zweiten Weltkrieg seine Oper "Die Liebe der Danae", eine heitere Mythologie, geschrieben hatte. Strauss rechtfertigte sich damit, dass ihm die antike Mythologie subtile Deutungsmöglichkeiten für moderne Probleme, persönlicher oder politischer Art, böte.

Zahlreiche Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Society fand sich in der Felsenreitschule ein. Kurz vor Beginn der offiziellen Festspieleröffnung wurden die Ehrengäste Bures, Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und 2. Nationalratspräsident Karlheinz Kopf (ÖVP) auf dem Residenzplatz mit einem Ehrensalut der historischen Struberschützen Golling und unter den Klängen der Trachtenmusikkapelle Golling von Haslauer und weiteren Salzburger Politikern begrüßt.

Für die musikalische Umrahmung in der Felsenreitschule sorgte das Ensemble Franui Musicbanda und das Mozarteumorchester Salzburg. Auf der Ehrengästeliste standen auch Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein mit seiner Frau Sophie, die Außenminister von Liechtenstein und Slowenien, Aurelia Frick und Karl Viktor Erjavec, und der Präsident der Lombardei, Roberto Maroni. Eingeladen waren auch Botschafter aus einigen europäischen Ländern sowie China und Vertreter der österreichischen Bundesregierung. Die Sicherheitsmaßnahmen und das Polizeiaufgebot waren offensichtlich größer als in den Jahren zuvor. Die Festveranstaltung wurde live auf ORF 2, 3sat und auf die LED-Leinwand am Kapitelplatz in Salzburg übertragen.

Liessmann: Kunst gibt dem Leben Sinn

Unter dem Titel "Und mehr bedarfs nicht. Über Kunst in bewegten Zeit" hat Kulturphilosoph Konrad Paul Liessmann in seiner Festrede zur Festspieleröffnung die Frage gestellt, ob es in Zeiten von Terroranschlägen und Bürgerkriegen noch möglich sei, sich ruhigen Gewissens der Kunst hinzugeben. Das sei durchaus berechtigt, so Liessmann. Ein gelungenes Kunstwerk genüge, um dem Leben Sinn zu geben.

Salzburg. Eine wunderbare Formel für die Kunst wäre "Gelingen aus Freiheit", sagte der österreichische Philosoph. Und zwar dadurch, dass sie auf diesem Prinzip beharre und dass sie die Maßstäbe für das Gelingen nur ihren eigenen Ansprüchen und keiner anderen irdischen oder gar göttlichen Macht verdanken wolle. Das, was der südamerikanische Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa kürzlich über die Literatur gesagt habe, nämlich ihre "bloße Existenz ist schon eine Manifestation von Rebellion", gelte wohl auch für die Kunst. Liegt in der Freiheit der Kunst nicht auch ein politisches Programm?, fragte Liessmann.

Das Pathos, das die Kunst der Moderne kennzeichne und dem sich alle großen ästhetischen Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts verdankten, liege in diesem Anspruch auf Autonomie, auf Selbstgesetzgebung, auf Unabhängigkeit von Märkten, Ideologien und Religionen. "Und etwas davon spüren wir jedes Mal, wenn wir in einer gelungenen Aufführung eines Konzertes, eines Theaterstücks, einer Oper das Gefühl haben, dass es genau das ist, um dessentwillen es sich zu leben lohnt, dass es genau diese Erfahrung ist, die einen Reichtum in sich trägt, der alles andere, wie bedeutsam, erschreckend oder gewichtig es auch erscheinen mag, verblassen lässt."

Liessmann warf in seiner Festrede viele Fragen auf. Ist die Erfahrung einer gelungenen Aufführung nicht eine Flucht aus der Wirklichkeit, eine Betäubung? Ginge es gerade in Zeiten der Krisen nicht darum, in der Kunst eine Möglichkeit zu sehen, in die Wirklichkeit einzugreifen, einen Beitrag zu leisten zur Veränderung der Gesellschaft in Hinblick auf ein Mehr an Humanität, Toleranz und Gerechtigkeit? "So hart es auch klingen mag: Die Kunst ist das eine, die politische Moral das andere."

Dass die Menschen in bewegten Zeiten leben, sei in der Geschichte mit all den Kriegen und Revolutionen nichts Neues, sagte der Kulturphilosoph, nachdem er die Frage in den Raum gestellt hatte, ob denn die Kunst angesichts des Weltzustands mit seinen tiefen Krisen und Kriegen wenn nicht verstummen, so doch ihre Stimme in einem politischen Sinne erheben sollte. Liessmann brach eine Lanze für das Ästhetische in der Kunst und warnte vor deren Vernachlässigung zugunsten politischen Aktionismus. Er nannte ein Beispiel:

Der Philosoph und Soziologe Theodor Adorno habe sich geweigert, am 7. Juli 1967 in West-Berlin seinen Vortrag "Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie" auf Einladung der Freien Universität Berlin mit Blick auf die soziale und politische Aktualität "umzufunktionieren". In seinem Vortrag habe Adorno ohnehin über Konflikte gesprochen, über das Verhältnis von Barbarei und Kultur, von der Gewalt und der ästhetischen Kritik an ihr. Er habe sich aber geweigert, nur eine Gesinnung zu demonstrieren, "politisch-moralisch im Sinne einer richtigen Seite zu agieren, die sich schneller als man glaubte als eine falsche erweisen sollte. Bald brannten die ersten Kaufhäuser und kündeten vom beginnenden und todbringenden Terror der Roten Armee Fraktion. Seine ästhetische Sensibilität hat den Philosophen davor bewahrt, zu einem geistigen Brandstifter zu werden", gab Liessmann zu bedenken.

Eine politisch korrekte Haltung sei noch kein Garant für gelungene Kunst, sagte Liessmann. "Wenn es eine bis heute verstörende Einsicht der Moderne gibt, dann diese: Das Schöne und das Gute bilden keine Einheit." Er verwies auf Friedrich Nietzsche, der feststellte, "die Wahrheit ist hässlich: Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen". Nur die Kunst könne, wenn auch im Imaginären, zeigen, was es heiße, mit den Widersprüchen und Abgründen des Menschen in einer menschlichen Weise umzugehen, erklärte Liessmann. "Liegt nicht darin die eigentliche Provokation der Kunst: Dass das gelungene Werk uns von der Wahrheit ebenso wie von jedem moralischen Anspruch vorerst einmal entbindet?"

Liessmann hob auch die Bedeutung der Kunst für die Bildung hervor. Es genüge nicht, dass junge Menschen jene Kompetenzen erwerben, die sie fit für die Arbeitswelt der Zukunft machen und nur deshalb Mozart hören, weil es sich herausstellen könnte, dass dies das innovative Denken fördert und bei der Gründung von Start-ups Vorteile verschafft. "Wer so denkt, denkt falsch. Bildung ohne ästhetische Erziehung ist keine Bildung." Wenn Lehrer nur eine einzige jugendliche Seele für die Kunst begeistern können, "dann haben sie das ihrige getan. Und mehr bedarfs nicht."

Der kritische Impuls von Kunst der klassischen Avantgarden habe sich verbraucht, die großen Ideen zu einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft würden kaum noch von Kunst erwartet. Sie sei mitunter affirmativ geworden, schmiege sich den Märkten an und sei, so die These des Kunstwissenschafters Wolfgang Ullrich, zu einer "Sieger- und Trophäenkunst" geworden. Für diese Kunst gelte zweifellos ein "immer Mehr, ein immer Größer und Teurer", sagte Liessmann. "Wer Kunst nur noch als Ornament, als Beiwerk, als ästhetische Überhöhung des eigenen Selbst, als Bühne seiner Eitelkeit sieht, hat sie unter ihrem Wert geschlagen, wie viel Geld er dafür auch ausgegeben haben mag." Letztendlich komme es darauf an, dass dem fehlerhaften Menschen in der Kunst nahezu Vollkommenes gelingen könne, "das keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedarf und das für sich Gültigkeit über die Jahrhunderte hinweg beanspruchen darf".

Konrad Paul Liessmann wurde 1953 in Villach geboren und ist Philosoph, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist sowie Universitätsprofessor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien. Er ist Gründungsmitglied und wissenschaftlicher Leiter des seit 1997 stattfindenden Philosophicum Lech. Liessmann wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Am 26. September erscheint bei Hanser ein gemeinsam mit Michael Köhlmeier verfasster Band "mythologisch-philosophischer Verführungen": "Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?"

 

Konrad Paul Liessmanns Festrede:

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Salzburger Festspiele Rede

PDF-Datei vom 28.07.2016 (240,04 KB)

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4  Kommentare
4  Kommentare
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Gugelbua (31.807 Kommentare)
am 29.07.2016 10:42

Kunst ist ein kommerzieller Markt und dazu sehr lukrativ für alle beteiligten zwinkern

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Temperatur (15 Kommentare)
am 29.07.2016 10:33

Kunst in seiner zeitlosen Gültigkeit gehört in den Bereich des Logos, des Seins und nicht des Habens.

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Temperatur (15 Kommentare)
am 29.07.2016 12:07

Kunst wirkt selbst noch in ihren grammatikalischen Fehlern inspirierend und mahnt den Künstler zur Demut vor der Schöpfung Gottes.

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( Kommentare)
am 28.07.2016 18:55

Kunst gibt dem Menschen Halt.

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