Lendvai: "Russland ist heute eine notdürftig kaschierte Autokratie"
LINZ. Der Publizist hält am Sonntag die Festrede zur Eröffnung des 37. Brucknerfestes in Linz.
Der Publizist und Moderator Paul Lendvai ist ein Getriebener. Der 85-Jährige kann, wie er selbst im OÖN-Interview sagt, "unmöglich" in Pension gehen. Schließlich müsse er weiterhin "gegen Ignoranz und Egoismus" anschreiben. Morgen wird der gleichsam brillante und scharfzüngige Analytiker mit seiner Festrede das 37. Brucknerfest eröffnen. Die OÖN sprachen vorab mit ihm über die Umwälzungen in Osteuropa ab 1989 und die Ukraine-Krise.
OÖN: Es gibt Tage und Ereignisse, die vergisst man nie: den 11. September 2001, die Mondlandung oder den Mauerfall vor 25 Jahren. Was haben Sie am Abend dieses 9. November 1989 gemacht, was haben Sie gefühlt?
Lendvai: Wenn ich mich nicht irre, habe ich im ORF eine Sendung moderiert. Die Sendung wurde abgebrochen, als uns die Bilder aus Berlin erreichten. Der Mauerfall war natürlich eine unglaubliche Überraschung, weil ich nicht dachte, dass der Kreml diese unglaubliche Position in der DDR aufgeben wird. Und ich habe nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Ich war gleichsam begeistert und bewegt, denn die Freiheit ist für mich das größte Gut.
War an diesem denkwürdigen Abend schon absehbar, dass der Mauerfall eine Kettenreaktion auslösen und sogar die Sowjetunion hinwegfegen wird?
Nein. Aber ich wusste, dass etwas in Bewegung gesetzt wurde – ohne die Tragweite absehen zu können. Es ist ein großer Verdienst des damaligen Kremlschefs Michail Gorbatschow, dass er die Zerstörung der UdSSR und des Ostblocks – natürlich nicht bewusst – präsidiert hat. Deshalb ist er zu Recht populär – aber halt nur bei uns, und nicht zu Hause in Russland.
Inwieweit beeinflussen die gewaltigen Umwälzungen zwischen 1989 und 1991 die aktuelle Krise in der Ukraine?
Die Ukraine war ein Sonderfall: Die Orangene Revolution 2004 brachte zwei Lichtgestalten hervor: Wiktor Juschtschenko und Julia Timoschenko. Der eine war nicht hart genug und unfähig. Und die andere war eine hochbegabte Person mit einer zwielichtigen Vergangenheit – aber mit einer ungeheuren Ausstrahlung. Und dann haben die beiden durch ihren Machtkampf alle Chancen und Hoffnungen zunichte gemacht. Sie haben sogar erreicht, dass Viktor Janukowitsch wieder zum Zug kam.
Was macht denn die Ukraine-Krise eigentlich so gefährlich?
Was die Ukraine zu einer Gefahr für die Welt macht, ist die offene russische Intervention. Man kann darüber nicht diskutieren: Das Putin-Regime hat einen Teil der Ukraine völkerrechtswidrig besetzt. Und jetzt führt Russland auch noch einen verdeckten Krieg in der Ostukraine. Entscheidend ist: Man muss einen Imperialisten rechtzeitig stoppen. Ich halte die Krise in der Ukraine für sehr gefährlich, weil sie stark zusammenhängt mit dem Mythos des "starken Mannes". Was in der Ukraine passiert, ist großrussischer Nationalismus in Reinkultur, den eine korrupte Clique von großteils früheren Geheimdienstlern und ihren Helfershelfern brillant für sich instrumentalisiert. Russland ist heute nichts anderes als eine notdürftig kaschierte Autokratie. Die Situation ist brandgefährlich – denn es geht bei dem aktuellen Konflikt nicht um die Ukraine, sondern um die internationale Ordnung seit 1945 bzw. 1989. Ich bin jedenfalls sehr, sehr besorgt.
Können die Sanktionen Moskau zum Einlenken zwingen?
Ohne Konzept und Führungskraft haben Sanktionen noch nie etwas bewirkt. Aber wenn man nicht einmal Sanktionen verhängt, sondern nur die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nach Moskau schickt, dann kann man gleich zusperren. Sanktionen haben nur dann einen Sinn, wenn sie glaubwürdig sind, wenn sie Interessen verletzen – und wenn geschlossen gehandelt wird.
Zum Schluss noch zu Ihnen persönlich: Sie haben kürzlich Ihren 85. Geburtstag gefeiert. Haben Sie noch nie an Pension gedacht?
Das ist unmöglich! Sinn des Lebens ist ja, tätig zu sein. Und das mache ich, so lange mein Kopf funktioniert. Ich arbeite nicht des Geldes wegen, sondern weil ich gegen Ignoranz und Egoismus kämpfen will. Es gibt so viele Themen, über die man schreiben muss.
Brucknerfest 2014
Festrede: „Der Mythos vom ,Starken Mann’ und die Rolle der Persönlichkeit“ lautet der Titel der Festrede, die Paul Lendvai am Sonntag zur Eröffnung des Internationalen Brucknerfestes 2014 in Linz halten wird.
Eröffnungstag: Die Braunfels-Oper „Ulenspiegel“ wird am Sonntag um 16 Uhr in der Tabakfabrik aufgeführt. Um 19 Uhr dirigiert Dennis Russell Davies im Brucknerhaus das Eröffnungskonzert mit dem Brucknerorchester und Fazil Say (Klavier). Auf Ravels Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur folgt Anton Bruckners Symphonie Nr. 1, die um 20 Uhr als Klassische Klangwolke auch in den Donaupark übertragen wird.
Neues Werk von Banksy mit Plastikschutz und Absperrung versehen
"Kottans Kiberer" und dieFröschinnen der Fledermaus
"Tanz pulsiert in jedem Moment" in Brasilien
Anton Bruckners Meistersinger
Interessieren Sie sich für diesen Ort?
Fügen Sie Orte zu Ihrer Merkliste hinzu und bleiben Sie auf dem Laufenden.
Seine Kommentare sind immer ein Genuss! Wahr, scharfzüngig und treffen immer ins Schwarze! Seine Einschätzung der Intervention Russlands in der Ukraine ist auch meine! Die Lage ist brandgefährlich!
Im Fernsehen zu sehen ist
Kann es sein, dass das nicht aufgezeichnet wird? Das wäre eine A.Schande!
, aber ich bin überzeugt, dass auf Ö-Regional die Wahrscheinlichkeit höher ist.
Kurze Ausschnitte wirds sicher geben.
Wenn du ein Lendvai Fan bist und gelegentlich in Wien, dann kannst du ihn öfter im Schwarzen Kameel treffen!
soll sich bei Putin einen Termin geben lassen. Dem kann er dann alles erzählen, was ihm so auf dem Herzen liegt. Ich kann dem "Widerstandskämpfer auf der Flucht" Lendvai nur eines empfehlen: Kämpfe dort, wo es Sinn hat. Bei uns ist das alles nur sinnloses Geschwätz, das uns gar nichts bringt. Ich brauche keine Flüchtlinge, die uns irgendetwas zuraunen. Wer hat diesen Bauchredner überhaupt eingeladen?