Große Gefühle auf dem Reißbrett
Die gebürtige Mühlviertler Autorin Judith W. Taschler hat mit "bleiben" einen Roman mit Bestsellerpotenzial geschrieben, der hie und da ein wenig überkonstruiert ist.
Judith W. Taschler kann, 46-jährig, auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Als Kind adoptiert, aufgewachsen auf einem Bauernhof in Putzleinsdorf im Mühlviertel, Auslandsaufenthalte, Autoverkäuferin, dann Studium der Germanistik und Geschichte, Lehrerin, Mutter von drei Kindern. Und seit einigen Jahren also freie Schriftstellerin.
Eine gelungene berufliche Veränderung, denn mittlerweile ist die Autorin preisgekrönt. Als solche arbeitet sie gerne Fragmente der Selbsterfahrung in ihre Romane ein. Mit der "Deutschlehrerin" ist sie per Paukenschlag in der Welt der Romanciers eingeschlagen, der folgende "Roman ohne U" wurde ebenfalls ein Bestseller und jetzt befand der Deutsche Drömer-Verlag, dass Taschlers neuestes Werk "bleiben" Potenzial zum "Herbst-Spitzentitel" hat. Der Verlag dürfte nicht viel falsch gelegen sein, denn "bleiben" hat Bestseller-Potenzial.
Bleiben steht hier für "hinterlassen" im Sinne von "was bleibt, wenn wir nicht mehr sind?" Diese Frage stellt sich Felix, als ihm die Diagnose Krebs mitgeteilt wird.
Ausgangspunkt der Handlung ist ein zufälliges und flüchtiges Aufeinandertreffen dreier Männer – Max, Paul und Felix – sowie der Cellospielerin Juliane in einem Zug nach Rom. Jeder geht daraufhin seinen eigenen Weg, im Fall von Paul, dem aufstrebenden Rechtsanwalt und der nach dem Tod ihres Bruders traumatisierten Juliane, einen gemeinsamen.
20 Jahre später trifft Juliane Felix wieder. Die mittlerweile zweifache Mutter bricht aus ihrem familiären Glaskäfig aus und taucht in die atemberaubende Gefühlswelt einer Affäre ein – mit Felix.
Taschler lässt die vier Protagonisten ihre Sicht der Dinge auf das, was dann passiert ist, erzählen. Einer Freundin, einem Freund, einem Bettnachbarn, einem Aktmodell.
Ein interessantes, verlockendes Stilmittel auf der einen Seite, aber auch ein wenig gewöhnungsbedürftig, wenn die Fragen des Gesprächspartners vom Erzähler wiederholt werden. Jedenfalls geht es um alle Arten der großen Gefühlswelt, um Schicksal, Prägung durch die Herkunft, Sehnsucht nach Wissen über den eigenen Ursprung, den Südtirol-Konflikt, Leben, Lügen, Sterben, Tod, Hinterlassenschaft und zwar jener, die sich nicht in Geld bemessen lässt – den höchstpersönlichen Fußabdruck.
Bei aller Realitätsnähe – Taschler hat im richtigen Leben einen schwerkranken Freund begleitet – mutet diese auf wenige Monate komprimierte Erlebniswelt schon ein wenig zu viel des Guten an – , als wäre sie auf dem Reißbrett akribisch konstruiert und dann ebenso fanatisch abgearbeitet worden. Bis hin zur Lebenslüge des eigenen Partners, der unabsichtlich Schuld am Tod des Liebhabers auf sich geladen hat.
Egal, Taschlers Fantasie scheint eben grenzenlos. "bleiben" zieht an, hat dieses gewisse Etwas, das es fast unmöglich macht, das Buch wegzulegen. Es regt zum Weiterdenken und zur Bestandsanalyse der eigenen Hinterlassenschaft. Wir freuen uns also auf den nächsten Roman und hoffen, dass Judith W. Taschler uns noch an vielen – aber nicht zu vielen – Erlebnissen teilhaben lässt.
Judith W. Taschler: "bleiben", Verlag Droemer Knaur, 256 Seiten, 20,60 Euro