Ein Heimatroman als packendes Musikdrama

Von Michael Wruss   04.Mai 2017

Das Ringen um Worte, das Suchen nach Inspiration, die Exzentrizität künstlerischer Schaffenskraft stehen in Hans Werner Henzes Oper "Elegie für junge Liebende", die am Dienstag im Theater an der Wien Premiere feierte, im krassen Gegensatz zur bürgerlichen Realität.

Ein Dichter verbringt seinen Sommer in den Bergen, um sich durch die Visionen der wahnsinnig gewordenen Hilda inspirieren zu lassen. Ihr Mann ist 40 Jahre lang verschollen. Diese Normalität unterstützen eine dem Meister ergebene Gräfin, sein Leibarzt und Elisabeth, ein junges Mädchen, das vorwiegend der sexuellen Erheiterung des Kreativmenschen dienen soll.

Diese Idylle des allgegenwärtigen Irrsinns bricht zusammen, als einerseits die Leiche von Hildas Mann vom Gletscher freigegeben wird, und andererseits als Toni, der Sohn des Arztes, in das Geschehen eintritt und so der Lauf der Dinge gehörig ins Wanken gebracht wird. Er verliebt sich in Elisabeth, und die älplerische Harmonie zerbricht. Keith Warner hat dieses Kammerspiel als Mischung von Heimatroman und tiefschürfendem psychologischen Drama entwickelt und führt in packenden Bühnenbildern von Es Devlin zum Höhepunkt – dem Tod der beiden Liebenden.

Sie stellt Utensilien des Dichterschreibtisches in überdimensionierter Form auf die Bühne, und so werden Schreibmaschine, Bücherstapel und Büste zum Klettergarten der menschlichen Gefühle.

Gelungene Wiederbelebung

Musikalisch lag der Abend in den Händen von Marc Albrecht, der mit den herausragenden Solisten der Wiener Symphoniker Henzes symbolträchtige Musik zu einem Vulkan leidenschaftlicher Eruptionen gestaltet hat.

Die koloraturgeschwängerten Irrsinnsphrasen der wahnsinnigen Hilda wurden von Laura Aikin präzise und packend gesungen. Genauso intensiv gestaltete Angelika Kirchschlager die Partie der Gräfin Kirchstetten, die beinahe panisch davor Angst hat, dass der von ihr finanziell ausgehaltene Meister versagen könnte. Großartig auch das Liebespaar Elisabeth und Toni – Paul Schweinester und Anna Lucia Richter –, die die ihm zugedachte Lyrik in der Musik, das tonale Gegengewicht zum scheinbar atonalen Chaos überzeugend interpretierten und im dritten Akt auch schauspielerisch zur Höchstform aufliefen. Martin Winkler war die perfekte Verkörperung eines Arztes, der sich selbst nur um seines Patienten willen aufgibt, und Johan Reuter gestaltete die zentrale und doch im Hintergrund bleibende Rolle des Gregor Mittenhofer, des Meisters, höchst beeindruckend. Eine absolut gelungene Wiederbelebung einer Oper, die – wie Henzes Musik überhaupt – zu Unrecht vom Spielplan verschwunden ist.

Theater an der Wien: Premiere von Hans Werner Henzes "Elegie für junge Liebende", 2.5.

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