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Der Philosoph, der aus den Wäldern kam

Von Bernhard Lichtenberger, 08. Juli 2017, 00:04 Uhr
Der Philosoph, der aus den Wäldern kam
Vor 200 Jahren wurde Henry David Thoreau, Schriftsteller, Naturalist, Rebell und Propagandist des einfachen Lebens, geboren.

Vor 200 Jahren wurde Henry David Thoreau, Schriftsteller, Naturalist, Rebell und Propagandist des einfachen Lebens, geboren.

Für manche Zeitgenossen war er ein Sonderling, ein notorischer Neinsager und ungehobelter Eremit. Die Nachwelt verehrt ihn als rebellischen Naturphilosophen, der die Formel des einfachen Lebens suchte und das Gewissen des Einzelnen über die Gewalt der Obrigkeit stellte.

Seine berühmten Schriften – "Walden oder Leben in den Wäldern" (1854) und "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat (1849) – avancierten zur Pflichtlektüre von Umwelt- und Protestbewegten. Freiheitskämpfer gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela öffneten sich für die Gedankenwelt Thoreaus ebenso wie 1968er-Revolutionäre und Anti-Atomkraft-Demonstranten. Es darf davon ausgegangen werden, dass sich auch unter den Aktivisten, die an diesem Wochenende in Hamburg beim G20-Gipfel den Weltmächtigen lautstark die Stirn bieten, Thoreau-Belesene finden.

Der Philosoph, der aus den Wäldern kam
Henry David Thoreau

Eigensinniger Lehrer

Der Eigensinn des am 12. Juli 1817 in der amerikanischen Kleinstadt Concord in Massachusetts geborenen David Henry ist früh erkennbar: Der Sohn eines Bleistiftfabrikanten mit Hugenotten-Vorfahren ändert als Zeichen seiner Selbstbestimmtheit die Reihenfolge seiner Taufnamen. Schließlich wirft der junge Harvard-Abgänger nach nur zwei Wochen seinen einträglichen Job als Lehrer hin, nachdem ihn ein Vertreter des Schulkomitees rügte, "keinen Gebrauch von der unerlässlichen körperlichen Züchtigung" zu machen. Thoreau reagiert höchst hinterfotzig. Willkürlich lässt er sechs Schüler antreten, versetzt ihnen "für nichts" harmlose Schläge auf die Finger, um die geforderte Prügelstrafe ins Lächerliche zu ziehen – und kündigt.

Wenig später kreuzt sich sein Weg mit dem Pfad des dichtenden Intellektuellen Ralph Waldo Emerson, dessen transzendentale Bewegung einer freiheitlichen, selbstverantwortlichen und naturnahen Lebensführung huldigt. Auf dessen Grundstück am Walden-See zimmert sich Thoreau eine einfache Blockhütte, die er am 4. Juli 1845, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, bezieht. Für zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage zieht er sich in die Wälder zurück, fern von gesellschaftlichen Zwängen und Konventionen.

"Den Glücksmomenten in der Natur steht die über weite Strecken vernichtende Diagnose einer Zivilisation gegenüber, deren vermeintliche Errungenschaften sich als zerstörerisch erweisen. Technologie, Industrialisierung, Eigentum, Konsum und Markt haben uns von der Natur und von unseren wahren Bedürfnissen abgeschnitten", bilanziert der deutsche Anglist Dieter Schulz von der Universität Heidelberg die Erkenntnisse des Experiments.

Wobei man sich Thoreaus Hütten-Dasein nicht als gänzlich entrückte Einsiedelei vorstellen darf. Das hölzerne Refugium, das ihm auf rund 15 Quadratmetern Denkfabrik und Schreibstube war, lag nur drei Kilometer von Concord entfernt. Und Thoreau, der ein Bohnenfeld bestellte und anderes zur Selbstversorgung anbaute, stellte fest, dass er am Walden-See mehr Besucher empfangen hatte "als zu irgendeiner anderen Zeit meines Lebens".

Am 23. Juli 1846 kommt es zu einem Zwischenfall, den Thoreau später zu seinem Essay "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat" ausschmückt. Auf dem Weg zum Schuster stellt ihn in Concord ein Polizist, um von ihm die seit Jahren überfällige Kopfsteuer einzutreiben. Der Kompromisslose verweigert die Zahlung und wird daraufhin ins Gefängnis gesteckt – allerdings nur für eine Nacht, da von unbekannter Seite die Schuld beglichen wird.

Gegner der Sklaverei

Der damals 29-Jährige rechtfertigt sein Verhalten mit seinen moralischen Grundsätzen. Als Anhänger der Abolitionisten, die sich der Sklaverei entgegenstellten, erachtet er es als verwerflich, einen Staat mit Steuern zu füttern, der einen expansiven Krieg gegen Mexiko führt und die Sklaverei billigt. "Nicht für einen Augenblick kann ich eine politische Organisation als meine Regierung anerkennen, die zugleich auch die Regierung von Sklaven ist", schrieb Thoreau. Seine Haltung und Zivilcourage hat nicht nur auf dem Papier Bestand: Er hilft entkommenen Leibeigenen bei der Flucht nach Kanada.

Der Schriftsteller, der sich für sein streitbares, aber bescheidenes Leben nebenbei als Tagelöhner und Landvermesser verdingte, empörte sich über die gesellschaftliche Ansicht, wonach ein Mann, der die Hälfte seines Tages durch die Wälder streife, als Taugenichts angesehen werde. Zugleich werde ein Spekulant, der diese Wälder kahlschlage, als fleißiger, unternehmerischer Bürger gepriesen. Ohnehin vertrat Thoreau, der Freiheit und Verzicht schätzte, die Meinung, man solle nicht sechs Tage arbeiten und einen Tag ruhen, sondern einen Tag werken und den Rest der Woche in geistige Betrachtung versinken.

Am 6. Mai 1862 starb der Philosoph, der aus den Wäldern kam, mit nur 44 Jahren an Tuberkulose. Als intellektueller Aussteiger, rigoroser Moralist, Naturliebhaber und Widerständler hat er bis heute nichts an Charisma und Aktualität eingebüßt.

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