Buchrezension: Wider die absurde Weltordnung
Jean Ziegler prangert Ungerechtigkeit und Unterdrückung an. "Wir leben in einer kannibalistischen Weltordnung", sagt er. Die Rettung der Welt traut er allein der Zivilgesellschaft zu.
Seine Analyse der herrschenden Zustände ist nicht neu, aber er bringt sie auf den Punkt: Jean Ziegler, Globalisierungskritiker der ersten Stunde, Schweizer Nestbeschmutzer, Aufrüttler und Aufklärer, kurz, der Mann kennt die Welt und nimmt sich kein Blatt vor den Mund, sie zu beschreiben. In seiner neuen Streitschrift hält er fest: "Mit dem Zusammenbruch des Sowjetreichs im August 1991 verschwand die weltweite Bipolarität der Staatsgesellschaften. Aus den Ruinen der alten Welt tauchte eine neue Tyrannei auf: die Tyrannei der Oligarchien des globalen Finanzkapitals."
In seiner Analyse nennt Ziegler die Schuldigen und benennt ihre Opfer. Dabei verwendet er eine Sprache, die zwischen Poesie und Pragmatik pendelt, aber immer verständlich sein will und ist. Er zieht die Präambel zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung hervor und gleicht sie mit der Realität ab. "Im Jahr 1776 kam das Streben nach Glück noch einer Utopie gleich. Heute hingegen könnte dieses Recht für alle Menschen Realität werden." Und zwar überall. Dennoch quäle hunderte Millionen Menschen materielles Leid. "Es könnte morgen beseitigt sein", beharrt Ziegler auf seiner Sicht der Dinge, die da heißt: "Wir leben in einer absurden Weltordnung" – in der ein paar Menschen alles gehört und vielen nichts.
Es überrascht nicht, wie und mit welchen Argumenten Ziegler dem Ungeist des Neoliberalismus die Leviten liest. Politisch Interessierte kennen das. Was Ziegler von trockenen Kritikern der herrschenden Zustände unterscheidet, ist sein innerer Zugang. Die Basis, von der er mitreißend predigt und empathisch formuliert, ist keine eines Zahlenmenschen à la Thomas Piketty. Ziegler hat die Armut in der Welt gesehen, gespürt und innerlich gespeichert. Deshalb klagt er in einer gesamthaften Weise an, die keinen Widerspruch zulässt, weil es ihn nicht gibt. Die Welt ist schlecht und Ziegler ist ihr Analyst.
Wo aber liegt die Hoffnung für ein System, das auf die Logik des Kapitals setzt, die auf Konfrontation, Krieg und Vernichtung gründet? Ziegler stellt die Logik der Solidarität gegenüber und fordert die Zivilgesellschaft mit einem Sartre-Zitat auf: "Den Feind erkennen! Den Feind besiegen!" Wenn’s nur so einfach wäre. Aber da haut einem Ziegler Voltaire um die Ohren: "Die Freiheit ist das einzige Gut, das sich nur abnutzt, wenn man es nicht benutzt." Es gebe keine Ohnmacht in einer Demokratie, postuliert der gelernte Soziologe und ehemalige Schweizer Nationalrat. "Alles, was es braucht, ist, die verfassungsgemäßen Waffen zu ergreifen und sie gegen die weltbeherrschende Finanzoligarchie zu richten."
Der Unterdrückungsapparat zeige bereits Risse, meint Ziegler. Aus ihnen leuchte seine Hoffnung auf jene positive Utopie, die nur durch die Zivilgesellschaft realisierbar sei und da heißt: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." Wäre das utopisch? So lautet der Artikel 1 der Menschenrechte.
"Ändere die Welt!", Jean Ziegler, C. Bertelsmann Verlag, 288 Seiten, 20,60 Euro.