Auf der Moldau durch Hain und Flur
Die Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim begeisterten im Brucknerhaus.
Gerade aus Prag und München zurückgekommen, machten die Wiener Philharmoniker mit Daniel Barenboim am Pult im Brucknerhaus Station und präsentierten Bedrich Smetanas orchestrales Hauptwerk "Ma vlast". Ein Programm, das nicht nur die aktuelle Tournee füllt, sondern auch im Dezember bereits in Wien, Köln und Paris zu erleben war und überraschenderweise das Publikum trotz einer perfekten musikalischen Leistung nicht mehr von den Sitzen reißt.
Denn Smetanas Musik muss geradezu, um tschechische Prägung zu erhalten, mit den Klischees der bäuerlichen Musik seiner Heimat spielen, muss die nationalen Helden, die mythische Amazone Sarka, die liebliche Landschaft und natürlich das Sprudeln der Moldau in Erscheinung treten lassen und eine gehörige Portion Pathos dazu installieren. Etwas, das auf die Dauer von 90 Minuten das Ohr doch etwas intensiv bemüht und dabei wie ein musealer Blick auf vergangene Zeiten wirkt.
Analytisch fein durchdacht
Es ist Musik, die einen Zweck zu erfüllen hat, das hervorragend schafft und auch kompositionstechnisch spannende Stellen beinhaltet, aber nicht nur. "Sarka" und natürlich "Vltava" sind beeindruckend komponierte und charakterlich vielgestaltige Werke, und auch das kreative Spiel mit dem Hussiten-Choral in "Tábor" versteht zu fesseln, vor allem dann, wenn es derart analytisch fein durchdacht dargeboten wird.
In den restlichen drei Stücken überwiegt dann doch patriotisches Pathos, mit heftigem Triangel-Geklingel und effektvollen Beckenschlägen – und das kommt heute nicht mehr so an. Selbst wenn es in nobelsten philharmonischen Sound gehüllt und mit gehöriger Contenance erklingt. Daniel Barenboim bleibt nämlich in seiner Deutung eher zurückhaltend, was das Tempo und auch was die Dramatik mancher Stellen anbelangt.
Sarkas blutrünstiges Rittergemetzel war schon frenetischer zu erleben gewesen, die Moldau-Polka schon alkoholgeschwängert ausgelassener herumgetorkelt, und auch die Hussiten haben nicht alles so penibel strukturiert, wie die Philharmoniker hier die Noten feinsäuberlich geordnet haben. Das heißt nicht, dass man zum Pathos unbedingt noch plakative Dramatik brauchen würde, aber um das Publikum wirklich mitzureißen, wäre es wahrscheinlich notwendig gewesen.
Dennoch heißt es hier mäkeln über ein hervorragendes Konzert, in dem vor allem die Bläsersolisten glänzten, das warm timbrierte Wiener Blech das Pathos nicht allzu groß werden ließ, die Streicher sich elegant durch die Moldauwogen wandten und Daniel Barenboim wie ein Landschaftsmaler Augenblick für Augenblick genoss und diese mit wunderbaren Klangfarben auf der Orchesterstaffelei festhielt. Eine klangschwelgerische Expedition in Mythos, Geschichte und Geographie unseres Nachbarlandes.
Brucknerhaus: Konzert der Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim, 16. Mai
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