22 Stühle und viele offene Fragen

Von Michael Wruss   16.April 2018

Tschaikowskys lyrische Szenen nach Puschkins Versroman "Eugen Onegin" gehören zu den meistgespielten Opern, und dennoch erlebt man nur selten ein wirklich beglückendes Theatererlebnis. Oft ganz einfach deshalb, weil man der Kraft der Musik nicht vertraut und glaubt, das, was die Musik initiiert, konterkarieren zu müssen. Da helfen – wie bei der Neuproduktion am Musiktheater am Samstag – auch zeittypische Kostüme nichts, wenn man den Geist einer Zeit nicht einfängt.

Plattform und Sargdeckel

Gregor Horres lässt sich von Jan Bammes nicht nur bezaubernde Kostüme entwerfen, sondern auch eine Bühne, die jegliche Romantik verweigert, sondern symbolgeschwängert das gut durchdachte Spiel überfrachtet. Eine bedrohlich vom Himmel schwebende Plattform ist nicht nur Spielfläche und Hindernisparcours, sondern auch Zeichen der physischen und mentalen Enge in der russischen Provinz. Und zugleich Lenskis Sargdeckel, wenn sie nach dem Duell diesen fast zu erdrücken scheint.

22 Stühle sind darauf fix montiert und geben die ausgetretenen Pfade einer in ihrem sozialen Miteinander erstarrten Gesellschaft vor, lassen keinen Fluchtweg zu und zwängen jedem die Ordnung einer verkrusteten und überkommenen Scheinmoral auf. Aber warum konsequent 22 Stühle? Auch in Fürst Gremins Palais stehen 22 allerdings behusste Sitzgelegenheiten, die Onegin in seiner letzten Unterredung mit Tatjana entblößt, als würde er damit sein Innerstes offenlegen. Und dann fällt man in die Kitsch-Falle und lässt es beim Duell auf freier Bühne schneien – nur weil im Libretto Winter ist? Die 22 Stühle braucht Tschaikowsky auch nicht – offensichtlich auch nicht jeder im Publikum, denn ein paar Buhrufe blieben nicht aus.

Musikalisch stand der Abend unter der Leitung des Dirigenten Leslie Suganandarajah, der die lyrischen Szenen manchmal fast zu ernst genommen hat und die Musik in einem zarten durchsichtigen Schimmer inszeniert, ohne allzu viele Akzente zu setzen, was die Musik unheimlich schön, aber wenig emotional erklingen lässt.

So blieben die beiden Szenen zwischen Tatjana und Onegin weitgehend ohne die Glut der Begierde. Dennoch war das subtil musizierende Bruckner Orchester ein idealer Partner für die Solisten. Allen voran Izabela Matula als Tatjana, die allmählich, aber dann umso überzeugender in darstellerische und musikalische Fahrt kam. Martin Achrainer beschritt mit dem Onegin neue Pfade, die er darstellerisch und sängerisch beeindruckend gemeistert hat, aber ob das die Kost für seine Stimme ist, ist ein anderes Thema, denn wie beim letzten Verzweiflungsschrei fehlt es dann doch an der dramatischen Durchschlagskraft.

Fragen bleiben offen

Eine Idealbesetzung für den Lenski war der polnische Tenor Rafal Bartminski, der die lyrische Klangfarbe mitbringt und diese Musik auch ideal phrasiert und mit dem nötigen leidenschaftlichen Nachdruck inszeniert. Mit großer Intensität gestaltete Michael Wagner die Arie des Gremin, obwohl diese seine Stimme nicht unbedingt zum Vorteil erklingen lässt.

Der Chor war von Martin Zeller gut studiert, aber nicht wirklich effektvoll eingesetzt. Eine Produktion, die viel Gutes mit sich bringt, aber mehr Fragen stellt, als sie beantwortet.

Musiktheater: Premiere von Tschaikowskys Oper Eugen Onegin, 14.4.

OÖN Bewertung: