Die Sprache ist ein wildes Geschöpf

Von Christian Schacherreiter   30.Juli 2011

Der Name „Duden“ ist zur Instanz geworden. „Der Duden“ (damit meint man alle diese großartigen Bände zu Rechtschreibung, Grammatik, Etymologie etc.) gilt vielen als Bibel der deutschen Sprache und Schrift.

So einfach ist die Sache allerdings nicht, und in der Duden-Redaktion weiß man das am allerbesten. Natürlich gibt es Sprach- und Schreibnormen, die für Schulen und Ämter verbindlich sind. Allerdings nur für sie. Ob sich der große Rest der Gesellschaft an diese Vorgaben hält, bleibt ihm überlassen. Täglich werden wir Zeugen und oft genug auch Täter der Regelüberschreitung. Dazu ein Beispiel:

Die wechselhafte, schier endlose und wenig fruchtbare Diskussion über die Normen der Getrennt- und Zusammenschreibung im Verlauf der letzten Rechtschreibreform hat Verwirrung und Verdrossenheit hinterlassen. Selbst Journalisten, also Profis der Schriftlichkeit, ignorieren mittlerweile genussvoll das komplexe Regelsystem der Getrennt- und Zusammenschreibung und entscheiden bei Unsicherheiten offensichtlich aus dem Bauch heraus.

Immer wieder lese ich „hinunter gehen“ oder „vorüber fahren“, obwohl diese Schreibweise falsch ist, denn wenn ein Adverb und ein Verb zusammenkommen, schreibt man sie auch zusammen. Aber wer weiß schon, was ein Adverb ist – im Unterschied zu einer Präposition wie „mit“ oder „neben“. In Martin Walsers neuem Roman „Muttersohn“ lese ich „mit einander“ und „neben einander“. Ist das Walsers individuelle orthografische Schrulle, auf die er als Autor sein gutes Recht hat, oder ist da dem Rowohlt-Lektorat etwas passiert?

Die Sprache will trainiert sein

Die Sprache ist ein wildes, vitales Geschöpf. Sie ist nicht als Regelsystem entstanden, sondern aus der Notwendigkeit zu kommunizieren. Wenn unser steinzeitlicher Vorfahre seine Jagdgefährten auf das nahende Mammut hingewiesen hat, wird er sich nicht lange um korrekten Satzbau und gepflegten Stil gekümmert haben. „Mammut dort“ erfüllt den Zweck vielleicht sogar effektiver als „O seht, teure Gefährten, dort naht ein Mammut schweren Schritts.“

Ganz so pragmatisch-nüchtern sieht man das im heutigen Wirtschaftsleben allerdings nicht. Ein erfolgreicher Unternehmer sagte mir kürzlich: „Wenn ich einen Geschäftsbrief bekomme, in dem ich zwei Rechtschreibfehler finde, frage ich mich: Was ist das für eine Firma?“ Ich weiß, dass dieser Mann kein Einzelfall ist. Daher warne ich auch immer davor, in den Schulen allzu nachsichtig mit der Rechtschreibung umzugehen. Zwar darf sie kein Terrorinstrument sein, aber dennoch muss man sie nach wie vor trainieren.

Langweilig? Ja, sicher! Aber noch langweiliger wird es, wenn jemand keinen Arbeitsplatz bekommt, weil er/sie der deutschen Orthografie nicht mächtig ist.

Umgekehrt ermutige ich aber auch zur Gelassenheit. Alle sprachlichen Regelsysteme wurden und werden von Menschen gemacht und ändern sich. Vor dem Jahr 1901 gab es keine einheitliche deutsche Rechtschreibung, dennoch war das Leben nicht ganz sinnlos.

Heute gibt es einheitliche Normen – und doch auch wieder nicht. Gerade wir Österreicher beharren gern auf unseren regionalen Besonderheiten, mehr noch in grammatikalischen als in orthografischen Bereichen. Wir – und mit uns die Schweiz und das südliche Deutschland – sagen „Ich bin gelegen“. Nördlich von Stuttgart heißt es allerdings „Ich habe gelegen.“ Richtig? Falsch? Unter uns gesagt: Es ist eigentlich wurscht.