Chat mit Richard Kühnel, Chef der Vertretung der EU-Kommission in Österreich

21.März 2011

Gast6850: Was tut die EU-Kommission, um nach der Katastrophe von Fukushima ein Umdenken in der Atompolitik herbeizuführen?
Kühnel: Es findet jetzt in ganz Europa eine sehr intensive Debatte über das Atomthema statt. Der zuständige Kommissar Öttinger hat bereits in der Vorwoche zu einem Sondertrteffen der EU-Energieminister geladen und die Initiative für die Durchführung von Stresstests aller europäischen AKW ergriffen. Als Kommssion geht es uns um die verbindliche Übernahme der Standards der internationalen Atom-Energiebehörde ins europäische Recht. Man muss aber auch klar festhalten, dass die Wahl der Energieträger Angelegenheit der einzelnen Mitgliedsstaaten ist und bleibt und der Kommission hier keine Kompetenz zukommt.


Gast6345: Wie schädlich ist Ihrer Ansicht nach der Fall Ernst Strasser für den Ruf der EU in Ö und die Meinung der Menschen über Politiker?
Kühnel: Ich verstehe die Empörung. Solche Vorwürfe unterminieren die Glaubwwürdigkeit des politischen Systems und das Vertrauen der Bürger. Es trifft vor allem auch jene Europapolitiker hart, die unermüdlich und mit Integrität für die Bürger arbeiten. Die politischen Konsequenzen wurden gezogen, jetzt folgen die rechtlichen Untersuchungen. Das ist wichtig, um den Ruf der Politik wieder zu verbessern.


Gast6850: Wäre es nicht möglich, den Euratom-Vertrag zu ändern, der ja noch den naiven Zugang zur Kernkraft aus den 50-er Jahren in sich hat?
Kühnel: Vertragsänderungen sind ein langwieriger Prozess, der von den Mitgliedsstaaten ausgehen müsste. Uns geht es jetzt um die dringende Diskussion, wie in Europa vorgegangen werden soll. Entscheidend dabei sind die Kriterien für die AKW-Stresstests, wo es uns vor allem auch um Erdbebensicherheit und Sicherheit vor Hochwasser geht. Als EU setzen wir uns beständig für die Verbesserung der Sicherheit bestehender AKW ein. Seit den 50er Jahren hat sich natürlich vieles verändert und Diskussion ist auf dem Stand der gegenwärtigen Technologie und Risiken zu führen.


Gast4465: Was ist das Ziel der EU im Zusammenhang mit dem Libyen-Einsatz? Soll die Opposition gewinnen, soll Gaddafi gestürzt werden?
Kühnel: Die UNO-Sicherheitsratsresolution 1973 stellt den Schutz der Zivilbevölkerung in den Vordergrund. Das ist in dieser Form bahnbrechend. Es geht daher primär um die Beendigung der Kampfhandlungen der Gadaffi-Truppen gegen die eigene Zivilbevölkerung. Darüberhinaus geht es aber natürlich auch um den Beginn eines Übergangs zu einem neuen demokratischen Libyen. Daher müssen die oppositionellen Kräfte in einen nationalen Dialog mit einbezogen werden. Als EU wollen wir diesen Prozess umfassend begleiten.


Gast5967: Ist ein Umdenken in der EU-Atompolitik mit Staaten wie Frankreich überhaupt möglich?
Kühnel: Die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU haben natürlich ganz unterschiedliche Vorraussetzungen, was die Wahl ihrer Energieträger betrifft. Die Diskussion, die jetzt zu führen ist, wird aber sicherlich viele Sicherheitsargumente ins Rennen führen. Ich bin sicher, dass sich Österreich in diese Diskussionen aktiv einbringen kann und wird und für seine Positionen auch Allianzen zu bilden versucht. In allen EU-Mitgliedsstaaten gibt es ja im Moment auch interne Debatten, einschließlich in Frankreich.


Rosinante: Angenommen, die Bomben in Libyen können einen Sieg Gaddafis nicht verhindern. Denken sie, dass die Alliierten dann auch Bodentruppen schicken?
Kühnel: Aufgrund des UN-Sicherheitsratsmandats gibt es im Moment den Einsatz von Luftoperationen. Die weitere Entwicklung ist den strategischen Planungen der einsatzführenden Länder vorbehalten.


Gast4465: Birgt die Entwicklung in den arabischen Ländern nicht auch Risiken der Radikalisierung (Stichwort Muslimbrüderschaft)? Ist die EU in dieser Hinsicht besorgt?
Kühnel: Prinzipiell birgt jeder Transformationsprozess natürlich auch Risiken in sich, das heißt aber nicht, dass man sich vor Transformationen fürchten soll. Das soeben abgehaltene Verfassungsreferendum in Ägypten zeigt, mit welcher Begeisterung die Menschen ihre neuen demokratischen Möglichkeiten ausschöpfen wollen. Natürlich braucht es für eine gut funktionierende Demokratie den Aufbau einer Zivilgesellschaft und politischer Parteien. Das geht nicht von heute auf morgen, aber als EU haben wir beschlossen, in Form einer neuen Partnerschaft für die Demokratie den Ländern des südlichen Mittelmeers unter die Arme zu greifen. Die relative Stärke der Muslimbrüderschaft bemisst sich letztlich an der Stärke der anderen Kandidaten bei Wahlen.


Gast5967: Was bringt Österreich die Atom-Abstinenz? Erdbeben und Tsunami wie in Japan sind ja wohl nicht zu erwarten. Ringsum gibt es genug Kraftwerke, im Falle eines Super-GAUs werden wir auch nicht verschont bleiben.
Kühnel: Österreich hat sich mit einem ganz klaren politischen Konsens zu einer atomfreien Politik entschieden. Es hat in vielen bilateralen Dialogforen mit den Nachbarländern immer wieder auf seine Bedenken hinweisen und gemeinsame Protokolle festlegen können. Aufgrund seiner langjährigen überzeugten Position kann Österreich sich in die aktuelle Debatte innerhalb der Europäischen Union sehr glaubwürdig einbringen und eine aktive Rolle spielen. Gleichzeitig werden auch in Österreich weitere Anstrengungen nötig sein, erneuerbare Energie auszubauen und die Energieeffizienz zu erhöhen, um die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern.


Gast4465: Auf mich als Laien wirkt es so, als würde der Umbruch in Arabien Al-Kaida eher schaden. Liege ich mit dieser Vermutung richtig?
Kühnel: Eine Stärkung der Demokratie, der Zivilgesellschaft, der Rechtsstaatlichkeit, des Schutzes der Menschenrechte festigt jede Gesellschaft. Es ist daher in der Tat zu hoffen, dass radikale Kräfte in einem solchen Transformationsprozess ins Hintertreffen geraten. Wenn glaubwürdige, starke, demokratisch gesinnte Kandidaten bei den kommenden Wahlen antreten, werden diese eine Perspektive der Hoffnung und der Stabilität bieten können.


Gast4465: Von Grasser bis Strasser - hat die ÖVP ihre Glaubwürdigkeit verloren? Oder vergessen das die Bürger bis zum Wahltag ohnehin?
Kühnel: Das Thema der politischen Glaubwürdigkeit muss von allen politischen Akteuren ernst genommen werden. Als Vertreter der EU-Kommission kann ich mich nicht zu einzelnen Parteien äußern.


Gast3660: Die EU wirkt auf mich oft wie der Sündenbock, wenn man etwas nicht auf die eigene Regierung schieben kann oder möchte. Kann das geändert werden?
Kühnel: Bis zu einem gewissen Grad ist die Rolle des Sündenbocks fast systemimmanent. So wie früher gerne aus den Bundesländern Wien Vorhaltungen gemacht wurden, so trifft es jetzt eben Brüssel. Dabei muss man sehen, welche Erwartungen oft mit der Union verbunden werden. In einigen Fällen, dort wo die EU aktiv wird, spricht man rasch von Regulierungswut, wenn einzelnen die getroffenen gemeinsamen Beschlüsse doch nicht so passen. Zum anderen wirft man der Union oft vor, nicht oder nicht ausreichend tätig zu werden, auch wenn man weiß, dass die Zuständigkeiten auf europäischer Ebene in vielen Bereichen eng umgrenzt sind. Bei den meisten Kritikpunkten an der EU sieht man bei näherem Hinsehen, dass die Lösung mehr EU und nicht weniger lauten würde. Wir haben uns zwar an die Sündenbockrolle schon beinahe gewöhnt, aber ich würde mir wünschen, dass auch mehr Entscheidungsträger auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sich mit den Politikern der Union öffentlich identifizieren würden.