"Selma": Großartiger Einsatz für gleiches Recht
Der für zwei Oscars nominierte Film "Selma" erzählt, wie Martin Luther King jr. in einer US-Kleinstadt für die Bürgerrechte seine Freiheit auf das Spiel setzte.
Wer heute den Namen Martin Luther King ausspricht, erhält sehr sicher zwei Reaktionen. Erstens ein Zitat: "Ich habe einen Traum" – der Titel der wohl berühmtesten Rede des US-Bürgerrechtsaktivisten (1929 bis 1968). Zweitens einen Hinweis, nämlich "dass Luther King erschossen worden ist".
Das Werk "Selma", das in der Kategorie "bester Film" für den Oscar nominiert ist, gibt auf bereichernde Art Aufschluss über eine groteske Frage, die diese Reaktionen betrifft: Wie kann es sein, dass ein Mann ermordet wurde, weil er den ehrenwerten Traum von Gleichwertigkeit der Menschen, egal welcher Hautfarbe, leben wollte?
Regisseurin Ava DuVernay tut dies, indem sie einen von Kings vielen Kämpfen auswählte, und daran zeigt, wie aggressive und ängstliche Stimmungen auf einen Zeitgeist der Hoffnung und Veränderung trafen.
"Selma" beginnt 1964. Das Jahr, in dem King dem Friedensnobelpreis erhielt und Lyndon B. Johnson – nach dem Attentat auf John F. Kennedy 1963 – seine Amtszeit als gewählter, demokratischer US-Präsident begann. Als Johnson den Einsatz für die Bürgerrechte hintan schiebt, sieht sich King unter Zugzwang. Er und sein Team reisen nach Alabama mit dem Ziel, dank "ausreichend Drama" auf die Titelseiten zu kommen. Dort, wo es Johnson nicht übersehen und ignorieren kann. Ort des Geschehens wird die Kleinstadt Selma – mitten im weißen, radikalisierten Süden.
Auf und Ab der Emotionen
King marschiert mit der schwarzen Bevölkerung auf, um deren Registrierung als Wähler zu vereinfachen. Ein Marsch, der eine Kette von Ereignissen zwischen friedlichen Protesten und Polizeigewalt anstößt, die sich anfangs jeder Kontrolle zu entziehen scheint (mehr im Kasten). Das aufwühlende Auf und Ab der Emotionen sammelt sich im Gesicht von Hauptdarsteller David Oyelowo. Als Martin Luther King jr. erzählt er mit leeren Augen von zermürbenden Zeiten. Mit halb gesenkten Lidern tröstet er mit Aufrichtigkeit den Großvater, der seinen Enkel durch den Schuss aus einer Polizeiwaffe verloren hat. Dazwischen gleitet sein Körper immer wieder von Anspannung hinein in die Lockerheit eines lässigen Staatsmannes. Dank seiner Darstellung wird aus dem Film auch keine Huldigung einer historischen Figur, sondern ein plastischer Einblick in schwierige Umwälzungen mit all ihren moralischen Grauzonen.
Schärfe verleiht ihnen ein großartig aufspielendes Ensemble: Oprah Winfrey ("The Butler") als Opfer, das keines sein will, Tim Roth ("Lie To Me") als Gouverneur mit Cowboy-Mentalität und Carmen Ejogo, die als Kings Ehefrau würdevoll jede Bürde aushält.
Sie tragen dazu bei, dass einem am Ende nicht die wenigen, aber dennoch widerlichen Gewaltszenen in Erinnerung blieben. Sondern, die Fragen, die Zeit und Handeln aufwarfen: Wie lange dauert es, bis Rechte wirklich greifen? Wie viel kann ein Einzelner dafür opfern? Hat das Sinn? Wer legt fest, welcher Zweck welche Mittel heiligt? Damit ist DuVernay und ihrem Autor Paul Webb ein Glanzstück gelungen: nämlich eine alte Geschichte mit äußerst wenig Pathos so zu erzählen, dass sie den Sprung in das Heute schafft.
Selma: USA/GB 2014 124 min Regie: Ava DuVernay
OÖN Bewertung:
Hintergrund: Ein FIlm über Martin Luther King Jr., der in Hollywood die Wogen hochgehen ließ
Martin Luther King jr.: Als Anführer der US-Bürgerrechtsbewegung setzte Martin Luther King jr. in den 1960ern durch, dass die Rassentrennung in den Südstaaten aufgehoben wurde. Er plädierte für zivilen Ungehorsam (gewaltloser Protest). Der Baptistenpastor wurde am 4. April 1968 in Memphis erschossen.
Selma: 1965 mobilisierte King die schwarze Bevölkerung der Kleinstadt Selma für einen Marsch auf das Gerichtsgebäude. Ihr Ziel: vorbehaltlose Aufnahme in die Wählerlisten. Es kam zum Tumult, später wurde der junge Schwarze Jimmie Lee Jackson erschossen. King beschloss, einen größeren Marsch nach Montgomery anzusetzen. Bei diesem wandte die Polizei Gewalt an. Erst bei einem dritten Marsch gab es Schutz für die Protestierenden. Am Ende schickte Präsident Lyndon B. Johnson ein neues Wahlgesetz auf den Weg.
Oscar: Dass „Selma“ lediglich für zwei Oscars nominiert worden ist, löste in der US-Filmbrache Empörung aus. Es wurde als Rückschritt für das „New Black Cinema“ gesehen, das mit den Film „Django Unchained“, „The Butler“ und „12 Years A Slave“ erstarkt war.